Kiosk
setzt sich auf einen bröckelnden Mauervorsprung. Der Dachdecker holt Bier aus dem Metzgerladen. Buddy wartet, bis er durch den Spalt im Metallgitter der Zufahrt verschwunden ist. Dann steht er auf und schlappt in den Stiefeln in einen Winkel am hintersten Ende des Grundstücks, geht um eine Mauer, ein paar Stufen hinab, um eine Ecke.
Hier hat er gestern ein Stück Mauer rausgeschlagen, abgehängte Decke. Ein Guckloch ist frei, er steckt die Hand hinein und fühlt altes Leder. Er tastet weiter, fühlt schon den Glanz über seinem Kopf, zieht etwas Kaltes hervor, für das er keinen Namen hat. Er preßt es gegen seine Brust, tastet wieder und entdeckt noch etwas. Einen Stab mit einer kleinen Hand darauf, der Zeigefinger ist vorgestreckt. Den Stab steckt er vorerst in den Latz seines Blaumanns.
Die Wunder nehmen kein Ende, und nichts kann seltsamer sein als die Musik, die jetzt zu ihm in den hintersten Winkel dringt. Von oben. Der Antiquar hat die Nadel eine Rille zu früh aufgesetzt und die Walküren verpaßt, statt dessen erklingt das Vorspiel zum Lohengrin. Die tastenden Töne der Geigen strecken ihre Finger aus wie Laserstrahlen und leuchten ganz leise.
Buddy befühlt zärtlich den Glanz in seinen Händen. Die Ouvertüre bekommt einen satten, wehen Unterton. Die schwirrenden Geigen ziehen sich ein wenig zurück. Der Schwanenritter kleidet sich in strahlendes A-Dur. Buddy lauscht verzückt.
»Wasn das, Mann?« Der Dachdecker steht hinter ihm, drängelt ihn beiseite, schiebt eine Pranke vor und entreißt Buddys Händen den Schatz.
Über ihren Köpfen übernehmen kraftvoll die Bläser. Tusch. Der Antiquar wacht auf, hebt die Nadel. Unerträglich, wie kann man an dieser Stelle so laut werden. Weckt auch keinen Toten mehr. Sogar Jakob bleibt stumm. Recht so, sollte sich was schämen wegen dem Lenchen und dem Kiosk.
»Mensch, Kerl.« Der Dachdecker hält den Schatz in der Hand, gräbt mit der anderen weiter im Loch, aber da ist nur noch Leder, alter Koffer wahrscheinlich, nichts drin außer ein paar Vogelfedern.
»Da muß doch noch mehr sein.«
Buddy guckt von fern. Mehr will er gar nicht. Er streckt die Hand nach dem Glanz aus, aber der Dachdecker preßt ihn vor seine Brust. »Mach das Loch mal wieder zu, da gehen wir morgen ganz früh noch mal ran, wenn mehr Licht ist.«
Buddy gehorcht, die kleine Hand mit dem Zauberstab daran drückt sich in sein Herz. Der Dachdecker murmelt was von blindem Huhn und Korn, aber so heißt der Glanz bestimmt nicht.
»Was das wohl wert ist?« fragt sich der Dachdecker, als sie wieder auf dem Grundstück stehen. Er schaut sich um, entdeckt in der rechts gegenüberliegenden Häuserfassade Licht. »Der Kwiatkowski ist noch wach. Der kann das wissen, ist ja Künstler. Was ein Glück. Komm schon, Buddy. Na, dann bleib, is auch egal.«
Tatendurstig stapft der Dachdecker davon. Buddy zieht die Gummistiefel aus und legt sich hin wie zum Sterben. Schlafen wär nicht schlecht. Er breitet die Arme aus und brabbelt ein bißchen vor sich hin. Das macht er so, seit Jakob tot ist. Schon bevor das hier eine Baustelle war, ist er nachts manchmal über die Mauer geklettert. Zum Brabbeln.
Hat gefühlt, daß es hier Wunder gibt, und gehofft, seine Sprache wiederzufinden, aber jetzt hat der Dachdecker ihm den Glanz geklaut. Buddy tastet nach dem Stab und brabbelt lauter, vielleicht hilft’s ja.
Kwiatkowski zeichnet ein Gesicht. Er zeichnet es schon zum fünften Mal und ist nicht zufrieden. Dabei zeichnet er gut, das hat dem Beuys an ihm gefallen, weil er selber ein genialer Zeichner war. Aber das Gesicht will Kwiatkowski nicht gelingen, nicht einmal die Schläfenbeine, alles zu grob. Ärgerlich wirft er die Zeichenkohle auf den Tisch.
Als es klingelt, schaut er auf und fragt sich einen Moment, ob sie es ist. Er schüttelt den Kopf, Unsinn, geht zur Tür, öffnet und macht im Flur das Licht an. Stampfende Schritte, es keucht die Treppe hoch. Der Dachdecker baut sich vor ihm auf, in den Händen den Schatz.
»Was soll das? Eine Prozession?« fragt Kwiatkowski.
»Nee, ich will wissen, was so’n Ding wert ist.« Der Künstler bittet ihn mit einem Kopfnicken herein. Der Dachdecker stutzt kurz wegen der Totenschädel, die auf Drahtkörpern schaukeln und eine Art Mützen tragen oder Kronen. Ein Totenkopf sitzt mit seinem Drahtpopo auf dem abgewetzten Sofa und grinst blöd. Der Dachdecker nimmt sich einen farbbeklecksten Stuhl und setzt sich von ihm weg. Was er in der Hand hat, ist schöner. Er stellt
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