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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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her.
    Nikita muß noch über die Sache nachdenken, dann schaut sie Karla sehr ernst an. »Mein Vater ist auch tot.«
    »Ich weiß. Lena hat es mir erzählt.«
    »Warum hast du nicht im Kiosk gewohnt?«
    »Ich bin bei meiner Mutter groß geworden.«
    »Und warum hast du den Jakob nie besucht?«
    »Meine Mutter war dagegen. Sie hatten Streit, weißt du.«
    »Aber du bist doch groß! Du kannst machen, was du willst.«
    Karla atmet nur und schaut weg. Nikita versteht.
    »Glaubst du, der Jakob ist noch irgendwo?«
    Karla sieht, daß die Frage dringend ist. »Natürlich, man kommt doch nicht einfach so weg. Er ist sicher noch irgendwo. Wir sehen ihn nur nicht mehr.«
    Nikita kaut auf der Haarsträhne herum. »Ich komm morgen wegen der Lippenstifte.«
    »Ich bring sie mit in den Kiosk. Und Filou ist auch da. Wenn du willst, kannst du die Schulaufgaben bei uns machen. Du kriegst doch sicher Schulaufgaben auf?« Sie sagt das wieder im Ton ihrer Mutter und ärgert sich.
    Nikita blinzelt, scheint einverstanden, fast erfreut. »Englisch kann ich nicht so gut.«
    »Kann ich dir bei helfen.«
    »Schlafen Sie gut.«
    »Du auch.« Karla schickt ihr ein ehrliches Lächeln nach.
    Als Nikita oben die Wohnungstür aufschließt, drängelt der Mann an ihr vorbei nach draußen. Die Mutter sitzt im Nachthemd in der Küche. Sie wischt sich die Augen, als Nikita reinkommt.
    »Jetzt aber ab ins Bett«, sagt sie kraftlos.
    Nikita sieht, was los ist, geht zu ihr hin und legt ihr die Arme um den Hals. Die Mutter fängt an zu heulen, preßt das Mädchen eng an sich. »Immer muß alles schieflaufen«, jammert sie.
    »Kommt er wieder?« will Nikita wissen.
    »Natürlich«, antwortet die Mutter erstaunt. »Was sollen wir denn sonst machen?«
    »Die Pizza essen«, sagt Nikita praktisch und deutet auf den aufgeklappten Karton vom Lieferdienst. Die Pizza macht die Mutter ganz unglücklich.
    »Er mag keine Peperoni«, sagt sie und heult wieder. »Ich hab aus Versehen mit Peperoni bestellt. Konnte doch nicht wissen, daß er die haßt.«
    Nikita holt ein Messer aus der Schublade, schneidet Dreiecke aus dem Teig, fischt die Peperoni heraus, weil sie die auch nicht mag. Sie holt Papierservietten mit der Biene Maja darauf und deckt damit den Tisch.
    »Ach, Süße«, sagt die Mutter matt. »Was würde ich ohne dich tun? Du bist mein Schatz, mein ganzer Schatz, das weißt du doch, oder? Ich hab niemanden jemals so liebgehabt wie dich. N-I-E-M-A-N-D-E-N. Und Pjotr.«
    Nikita angelt sich ein Pizzastück. Sie ißt gern mit der Mama, so allein.
    »Ich versprech dir, du bekommst bald wieder einen Vater, einen richtigen Vater. Du brauchst einen Vater.« Was nicht ganz richtig ist, vor allem braucht sie einen Vater für das Kind, das in ihr wächst.
    Das Mädchen beißt in den aufgeweichten, käsigen Teig, der Tomatensaft brennt in den Mundwinkeln. Sie hat doch einen Vater, daß der tot ist, wie der von Karla, macht doch nix. Karla weiß Bescheid, man verschwindet nicht einfach, nur weil man tot ist. »Laß den Mann nicht mehr rein.«
    »Das kann ich nicht machen.«
    »Kannste wohl.«
    »Der tritt uns die Tür ein.«
    »Dann holen wir die Polizei.«
    »Mit der Polizei will ich nichts zu tun haben, die machen nur Ärger.«
    »Ich mag den Mann nicht.«
    »Das kommt schon noch, wirst sehen.« »Er mag dich nicht.«
    »Das stimmt nicht, Schatz. Denn weißt du, bald bekommen wir ein Geschwisterchen für dich, von ihm. Ist das nicht toll? Was willst du lieber, einen Jungen oder ein Mädchen?«
    Nikita hört kurz auf zu kauen. »Gar keins«, preßt sie zwischen dem Pizzamatsch in ihrem Mund hervor.
    »Du bist müde, du mußt jetzt ins Bett, Mäuschen.« Bevor Nikita wieder in ihr Pizzastück beißen kann, reißt die Mutter sie in ihre Arme. Das mag Nikita am allerwenigsten, das nasse Gesicht und den Rotz in ihren Haaren.
    »Versteh mich doch, Süße.«
    Eine Ohrfeige wäre Nikita fast lieber, aber die Mutter schlägt sie nie, die wird nur geschlagen. Nikita hält still, dabei braucht sie wirklich ihren Schlaf. Sie ist doch noch viel zu klein, um so lange wach zu bleiben, das muß die Mutter doch merken.
    In acht Stunden und elf Minuten fängt die Schule an, macht 491 Minuten, und jede Minute hat sechzig Sekunden, einatmen dauert eine Sekunde, eine Stunde hat 3600 Sekunden, also atmet sie in einer Stunde 1800 mal ein. Mal 491 ist wieviel?
    Nikita rechnet und atmet. Sie braucht einen Taschenrechner, aber auf keinen Fall Geschwister von dem Mann.

10
    D as kommt davon, wenn man

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