Kiosk
Hoffnungsschimmer für Lenchen und für ihn. Er will endlich weg.
Unten geht ein Gröhlen durch die Gasse. Kwiatkowski steht auf und geht ans Fenster.
Ist nicht der feiernde Dachdecker, nur ein dummer Junge, einer von den Studenten. Der mit dem Raspelschnitt. Er hält eine Frau im Arm und schreit ein Lied in die Nacht. Die Frau hat ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Es ist Karla. Belügt sich schon wieder, denkt Kwiatkowski und läßt die Jalousie herunter. Die beiden torkeln vorwärts Richtung Leichenhalle.
Natürlich weiß Karla, daß es falsch ist. Völlig falsch. Sie mag nicht mal seinen Namen. Jochen. Aber als er am Nachmittag, kurz nach drei, vor dem Kiosk stand, als ihre Hoffnungen bereits auf ein Preisrätsel zusammengeschnurrt waren und nachdem Krahwinkel die Miete eingefordert hatte, wußte sie nicht weiter. Ihr Leben hat alle Konturen verloren, sie auch, sie braucht einen zum Anlehnen. Jochen hat gegrinst. »Ich finde, wir sollten die Sache zu Ende bringen. So mittendrin aufhören ist Scheiße. Findste nicht?«
»Und Annette?«
»Ist nicht da. Ist das wichtig? Hey, du bist doch nicht so, oder? Ich lad dich ein. Italiener.«
Die Spaghetti liegen ihr jetzt wie nasse Pappe im Magen. Für mehr hat’s bei ihm nicht gelangt. Der Grappa hinterher war von der übelsten Sorte. Sie betastet seine Rippen unter der Jacke, schöne harte Rippen. Er hat eine sehr glatte Brust und einen straffen Bauch, die Hüftknochen stehen vor. Sie zählt sich weiter auf, was sie an ihm mag, verspürt Lust und wird immer mutloser, gräbt ihre Hand in seinen festen Hintern.
»Hältst du’s noch bis bei dir aus, oder solln wir gleich loslegen?« fragt Jochen und drückt sie an eine Mauer. Sie küssen sich gierig, er tastet nach ihren Brüsten. Vielleicht ist er im Bett besser. Sie macht sich los und zieht ihn weiter in Richtung des Apartmenthauses. Im Eingang hockt jemand unter der Klingelleiste auf den Marmorfliesen. Es ist Nikita, Filou hat sich vor sie hingekringelt und schläft.
»Oh, Scheiße«, stößt Karla hervor, beschleunigt ihre Schritte und geht vor Nikita in die Hocke. »Dich hab ich ganz vergessen. Wie lang bist du schon hier?« Filou wacht auf und leckt Karla die Hände.
»Um vier war ich hier und seit eben.« Karla streckt die Rechte vor, um die Haarsträhne aus Nikitas Gesicht zu streichen, die wendet den Kopf ab, von so was bekommt sie zu Hause genug.
»Tut mir wirklich leid«, stammelt Karla unsicher.
»Ist das etwa deine?« fragt Jochen hinter ihr.
»Nein«, sagt sie ungeduldig.
»Äh, mal locker, war nur 'ne Frage. Also, was ist jetzt?«
»Verpiß dich.«
»Soll das ein Witz sein? Und das Essen und das Ganze?« Karla beachtet ihn nicht, schaut nur Nikita an.
»Dann mach’s dir doch selber«, sagt Jochen und geht.
»Du hättest Filou ruhig bei dir behalten können für die Nacht.«
Nikita schüttelt den Kopf und zieht sich mit dem Rücken an der Mauer hoch. »Das will der Mann nicht, weil Filou eine Sie ist und keine Rasse hat.«
Karla seufzt. Was soll sie da machen? »Für die Lippenstifte ist es jetzt ein bißchen spät. Komm, ich bring dich nach Hause.«
»Können wir auf der linken Seite gehen?« Auf dem Trümmergrundstück hat sie was liegen sehen, ein raunendes Bündel. Der Eckenflüsterer muß aus seinem Versteck gekrochen sein, jetzt wo sie ihm die Mauern wegreißen. Da will sie nicht dran vorbei. Karla sieht nur, daß sie Angst hat.
»Natürlich können wir links gehen, kein Problem. Kennst du ›ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm‹?«
Nikita unterbricht sich kurz beim Beten. »Blödes Spiel.« Sie betet natürlich nur im Kopf, wenn jemand dabei ist, und zählt mit den Fingern der Linken die Zahl der Gebete. Zwölf müssen es schon sein. Kurz vor den Rosenkreuzern ist sie damit fertig. Sie lenkt Karla über die Straße und schaut sich kurz das Bild mit den schreienden Menschen unter dem Regenbogen an. Sie greift nach Karlas Hand. Ist doch nur ein Bild.
»Du?«
»Ja?«
»Warum heißt du genau wie der Jakob?« Sie kann doch Klingelschilder lesen. Karla läßt ihre Hand los.
»Weil der Jakob mein Vater war.«
»Dein Vater?« Nikita reißt die Augen auf und glaubt an ein Wunder.
Karla nickt langsam, irgendwann muß sie ja damit anfangen, es den Leuten zu erzählen.
Nikita sucht nach ihrem Schlüssel, steckt ihn ins Schloß, dreht zweimal um. Sie stemmt die Tür auf, Karla macht von außen Licht. Filou steht im Lichtkegel und schaut unschlüssig zwischen beiden hin und
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