Kiosk
und macht die Augen wieder auf.
»Im Gegenteil«, sagt Kwiatkowski, »in den Fünfzigern wollte vielleicht keiner was wissen, aber jetzt kann man die Sachen endlich beim Namen nennen.«
»Und keiner hört hin«, sagt der Antiquar.
»Was hat das mit dem Kiosk zu tun?« fragt Lenchen wieder.
»Wenn wir dem Krahwinkel was ans Zeug flicken, wird’s ihm vielleicht ungemütlich mit seinen Großbauprojekten«, meint Kwiatkowski.
Der Antiquar lacht. »Wie wollen Sie das denn hinkriegen? Sie sind wirklich ekelhaft naiv, mein Gott. Meinen Sie, ein Zeitungsartikel über seine braune Vergangenheit tut dem alten Krahwinkel noch weh?«
Der Künstler gibt nicht auf: »Immerhin hat er sich jahrzehntelang nicht um die Häuser vom Kattenbug gekümmert, war ihm vielleicht mulmig bei. Wenn wir sein Gedächtnis bißchen auffrischen, wer weiß?«
Rose Quittländer verlangt nach einem weiteren Schnaps. »Dem sein Gedächtnis brauchen Sie nicht auffrischen, junger Mann. Der hatte genug an seinen Parkhäusern, der Kattenbug war ihm einfach schnurz. Meinen Sie, der hat in all den Jahren mal eins von den Häusern renoviert? Auch nicht gestrichen, war doch nichts dran zu verdienen.«
»Glauben Sie ja nicht, daß der sentimental wird auf seine alten Tage«, setzt der Antiquar hinzu, »der ist mit ganz anderen Geschichten davongekommen, sag ich Ihnen. Geschichten, die in keiner Akte stehen. Der Krahwinkel ist ein Mörder.« Kwiatkowski blickt fragend, so ein Wort paßt nicht zum Antiquar.
»Ein Mörder«, wiederholt der fast schrill. Jetzt will er nicht mehr zurück. »Er hat dafür gesorgt, daß Jakobs Vater mit einem Strafbatallion direkt an die Front kam, wegen einem albernen Schild an seiner Ladentür. Mitten hinein in einen geschlossenen Kessel, ringsum nur Russen, da konnte keiner mehr raus.« Soviel hat er aus den alten Feldpostbriefen herausgelesen, daß der Schäng das genau gewußt hat.
»Dann macht’s mal gut und grüßt mir den Kattenbug«, endet der letzte Brief an Frau und Kind, und als rasch gekritzelter Zusatz steht drunter: »Jetzt geht’s doch an die Front. Mirsa lacht. Ich weiß, ihr vergeßt mich nicht und haltet den Laden in Schuß, bis die Lichter wieder angehen in Deutschland.«
Die nächste Nachricht kam als vorgedrucktes Schreiben direkt von der Wehrmacht. Auf gepunkteter Linie stand der Name Johann Georg Hilger – tot oder vermißt. Beim ›g‹ ist die Taste jedesmal nach oben gesprungen, als hätte die Schreibmaschine Schluckauf gehabt.
»Dafür hat der Krahwinkel gesorgt«, schließt der Antiquar, »hat wohl gedacht, die Witwe verkauft ihm später das Geschäft, dann hätte er die ganze Häuserzeile gehabt.«
Rose Quittländer räuspert sich energisch, froh, wieder etwas genauer zu wissen als der Antiquar. »Nee, Hans-Karl, das stimmt aber jetzt nicht. Das mit der Anzeige, das war dein Vater. Hat ihm nie gepaßt, daß du dich immer im Tabakladen am Kattenbug rumgetrieben hast. Ihr wart doch was Besseres, so mit der ganzen Wagnermusik und den vielen Büchern.«
12
N ikita ist bis zur Endhaltestelle durchgefahren. Sie konnte sich nicht entscheiden, wo sie aussteigen muß. Jedenfalls ist sie zu spät ausgestiegen. Am besten sie geht zurück, bis sie was wiedererkennt. Der Fahrer hat streng geguckt, während er mit der Kurbel die Folie mit den Fahrtzielen weitergedreht hat. Man weiß ja, was mit kleinen Mädchen alles passiert. »Na, Fräulein, wo willst du denn so allein hin?«
»Zu meinem Vater.«
»Und wo ist der?«
»Da hinten.« Da hinten stand Gott sei Dank gerade jemand auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig und sah nach Vater aus mit dem Baby vor der Brust. »Und außerdem bin ich nicht allein, ich hab ja unseren Hund bei.«
»Der sieht aber wirklich seeeehr gefährlich aus. Na, dann mach mal, daß du weiterkommst. Um acht Uhr abends sollten deine Eltern dich nicht allein durch die Weltgeschichte fahren lassen.« Erst letzte Woche ist hier wieder ein Mädchen verschwunden, und oben in Ostfriesland gab es eine ganze Serie von Kindermorden.
Herrje, acht Uhr schon, erschrickt Nikita. Sie mußte warten, bis der Mann und die Mutter weggegangen sind. Dann konnte sie erst zum Kühlschrank und paar Vorräte einpacken. Fruchtzwerge, Marsriegel, Kinderpingui, alles was ihre Mutter ihr so kauft, wenn sie was gut machen will, und kalte Nudeln mit Hummerkrabben vom Chinesen, die waren für den Mann. Hat er aber auch nicht gemocht, weil nicht genug China-Maggi dran war, also sind sie zum Brauhaus am
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