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Kiosk

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Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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Anzeige wären wir nicht hier, da gibt’s ganz andere Baustellen. Ehrlich, gern tu ich das nicht.«

21
    D er Antiquar ist bei einem hellen Frühlingsabend im Jahr dreiundvierzig angelangt. Die Mutter vom Schäng steckt Jakob das Brot zu, sogar ein paar von den letzten Lageräpfeln aus dem Kellerregal. Das macht sie so, weil sie hofft, daß eine Frau in Rußland für den Schäng das gleiche tut.
    »Aber paß auf die Bewacher auf, Jakob. Gestern hatte ich schon Ärger, du weißt schon mit wem.« Der Antiquar weiß mit wem. Mit seinem Vater, dem Blockwart. Der hat sich auf der Krim längst den Heimatschuß gefangen, schwere Bauchverletzung, und will jetzt an der Heimatfront beweisen, was für ein treuer Parteigänger er ist und daß er – wie alle – dafür sorgt, daß Deutschland nicht untergeht. Ihm, dem Hans-Karl, seinem Sohn, haben die Hilgers trotzdem vertraut.
    »Man sucht sich die Eltern nicht aus«, hat die Mutter vom Jakob nach dem Krieg mal gesagt. Das war alles, damit war das geklärt. Bis heute.
    Jakob steckt eben einem Polen einen Brotkanten zu, während Hans-Karl – in HJ-Uniform – den Bewacher in ein Fachgespräch über den deutschen Nachtjagd-Riegel verstrickt. Der SS-Mann ist ganz bei der Sache. Die Augen des Gefangenen lächeln kurz, dann zieht er ebenso verstohlen etwas aus seiner zerschlissenen Hosentasche.
    Der Antiquar betrachtet den Turner. Und dann jaulen die Sirenen Voralarm.
    Konnte man sich nicht drauf verlassen. Manchmal schaffte man es nicht bis in den Keller, der Vollalarm traf später als die Spitfires, Blenheims und Lancasters ein. Der Flakgürtel um Köln fabrizierte nicht viel mehr als paar schwarze Wölkchen am Himmel und einen Höllenlärm. Auch an diesem Tag.
    An diesem Tag ist es ganz schlimm. Noch bevor sie vom Trümmerberg runter sind, sausen schon Sprengbomben ins Viertel, nahe Sankt Pantaleon. Die Bewacher am Fuß des Trümmergebirges – muß etwa in Höhe der heutigen Festungshäuser gewesen sein – spritzen einfach los. Der Jakob hat gar nicht nachgedacht. Der hat den Polen beim Ärmel genommen, ist los, in klaffenden Sprüngen sind sie die Trümmer hinab. Schutt rutscht nach. Hans-Karl hat unten gewartet. Dann sind sie gerannt, begleitet von regnenden Flaksplittern.
    Keine Frage, die Totenvögel am Himmel haben auch den Kattenbug im Visier. Das Heulen und Jaulen der fallenden Sprengkörper, das Zwitschern der Brandstabbomben, ist ohrenbetäubend, dazu das Sirenengeheul. Die Trommelfelle schmerzen, es zerrt in den Kiefern. Man riecht erste Brände, alles rennt. Immer die Innenstadt, hier liegt die Hölle. Sie könnten beim Eierfranz in den Keller, aber der Jakob, der will zum Kiosk. Hierher, wo jetzt der Hans-Karl sitzt und sich wundert, daß der Turner überlebt hat.
    Oben späht Kalle kurz über ein Mauerstück. »Scheiße, die ham den Buddy«, sagt Kalle und drückt sich in die dunkelste Ecke, wo schon zwei Polen stehen und zittern.
    »Nicht schlimm, der hat Glück, is doch ein Depp«, raunt der Dachdecker. »Für dich wird’s eng, du hast doch bestimmt noch paar andere Sachen offen, oder?«
    »Nix von dem die was wissen.«
    »Scheiße. Wir sitzen hier in der Falle. Vor allem die Jungs da.« Er deutet mit dem Daumen nach hinten auf die Polen. »Nehme an, euch hat die Heimat bald wieder.«
    Die erste Bomberwelle haben sie zusammen im Keller gehockt. Die Mutter vom Jakob hat nichts gesagt. Ging auch kaum, bei dem Lärm. Immer wieder ist das Haus gehüpft, als hätte es Gelenke in den Mauern, krachend wieder herabgesackt. Die Tür zum Keller ist aus den Angeln gesprungen. Mit dem Polen haben Jakob und Hans-Karl sie wieder ins Schloß gedrückt, der Notriegel ist nicht mehr vorzulegen.
    Das Licht fällt aus. Kalk rieselt in dichten, puffenden Wölken. Dann kehrt kurz Ruhe ein. Jakob zündet ein Hindenburglämpchen an.
    »Das ging daneben. Gott sei’s gelobt und gepfiffen«, sagt ruhig die Frau vom Schäng, nimmt ein Einmachglas Mirabellen aus dem hochkant stehenden Bettgestell, dreht es mit kräftigen Armen auf und bietet es dem verhungerten Polen an.
    »Frau Hilger«, warnt entsetzt die Klempers aus dem zweiten Stock. »Frau Hilger!« Der Pole mit dem kalkbestaubten Leichengesicht zögert kurz, dann taucht er die Rechte in den öligen Saft, gräbt nach den weichen Früchten und steckt sie rasch nacheinander in den Mund. Soviel eben geht.
    Dann hört der Antiquar die polternden Stiefel. Ganz nah hört er sie. »Ich hab’s Ihnen gesagt«, stöhnt die Klempers. Die

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