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Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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gleiche. Ich kann deren Angst förmlich riechen. Aber was soll man machen? Ich muß der Sache nun mal nachgehen. Dabei haben andere viel mehr Dreck am Stecken. Was soll man machen?« Der Antiquar legt den Turner in seine Rechte. Sogar ein kleines Gesicht haben sie ihm geschnitzt. Sie. Da sind sie wieder. Ziehen vor ihm den Kattenbug entlang. Fantastisch ausgemergelte Gestalten in grober Gefangenenkluft, einige tragen an den Füßen nur noch Lumpen. Sie kommen abends und am Tag. Man merkt sich die Gesichter nicht. Fremdarbeiter haben keine Gesichter, oder alle das gleiche. Keiner schaut hin, da sind so viele eigene Sorgen. Leben die Schmitzelangs noch, die aus der Kettengasse? Ob man Notglas wird besorgen können?
    Alles ist hin, zum zweitenmal Volltreffer. Nachrichten werden mit Kreide an die Hausruinen gekritzelt, dann geht es mit dem Panjewagen zu Verwandten in die Eifel.
    Im Luftschutzkeller an der Poststraße sind heute nacht dreißig Menschen erstickt. Einer ist über sie hinweggekrochen, hat mit den Füßen auf den zuckenden Leibern gestanden, wollte an den Notausstieg. Da muß doch noch ein Luftloch sein.
    Da war nur Feuer und Schutt.
    Am Morgen danach ist die Straße ein gebirgiges Flammenmeer aus einstürzenden, glutroten Hausfassaden. Wo gestern noch Asphalt war, prasseln Flammen. Tagelang schwelen Brände, man geht über einen Teppich aus knirschendem Glas. Straßen? Erkennt man nicht mehr. Dazu quält die Angst vor den Blindgängern.
    Und dann kommen sie. Nach jedem Luftangriff sind sie da. In kleinen Kolonnen, dabei gibt es woanders auch genug zu tun. Aber auf dem Kattenbug fehlen sie nie. Dafür sorgt Krahwinkel, dem gehört ja inzwischen die halbe Gasse.
    Gleich nach der Tausend-Bombernacht wurde er von der Finanzverwaltung ins Kriegsschädenamt versetzt. Hoher Posten. Die Kölner sollten schnell Ersatz für zerbombte Wohnungen und Einrichtungen erhalten. Mobiliar jüdischer Emigranten, in Containern verstaut, wurde aus Rotterdam und Amsterdam zurückbeordert, per Sonderzug. Und natürlich wurde gekungelt, so was ging immer. Vom Reichsluftfahrtministerium kamen ein paarmal böse Briefe. Aber in den Containern waren so schöne Sachen, richtige Antiquitäten, Daunenbetten und Bücher, daß der Krahwinkel die mahnenden Briefe überlesen hat.
    Sollte ihm erst mal einer was, die ausgebombten Kölner mußte er ruhig halten, die RAF kam beinahe jede Nacht und ließ nicht nur die Häuser wackeln, auch Überzeugungen. Der Rhein glänzte im Mondschein wie ein Drachenschwanz und bot genaue Orientierung.
    Ein paar Bilder aus den Containern hat Krahwinkel mit kameradschaftlichen Grüßen und Heil Hitler dem Göring verehrt, dann ist Ruhe gewesen. Er konnte den Rest frei Schnauze verteilen. Seinen Lieblingen und treuen Parteigenossen ließ er einiges zukommen. Den Lehrer mochte er seiner Bildung wegen. Das hat er respektiert. Ihm hat er viele hundert von den Büchern geschenkt. Der Antiquar schließt die Hand um den Turner. Das hat doch mit diesem Spielzeug nichts zu tun. Doch, auch das.
    Krahwinkel hat dafür gesorgt, daß dem Kattenbug regelmäßig Räumkommandos zugeteilt wurden. Aus dem Messelager in Deutz, von der gegenüberliegenden Rheinseite, vis-à-vis vom Dom, größte Außenstelle von Buchenwald. Am Anfang waren noch Juden dabei, dann vor allem Polen, Russen, einige Belgier, Franzosen.
    Der Antiquar erinnert sich an die Russen und Polen. Sie bilden Ketten auf den Trümmerbergen, reichen Balken, Steine, unversehrtes Mobiliar weiter, mal ist ein Puppenwagen dabei. Und unter allem lauern die Blindgänger.
    Der Turner lächelt.
    Oben sieht Kwiatkowski, daß der Dachdecker und Kalle in der Nische ganz hinten abtauchen. Wird nichts nutzen, aber noch sieht keiner hin. »Das ist hier alles nur Kleinvieh«, sagt der Truppführer, sein Kopf bewegt sich roboterartig, während seine Blicke das Baugrundstück millimetergenau abtasten.
    Kwiatkowski lenkt den Kopf des Truppführers zu sich hin, bevor er bei der Nische ankommt. »Ist eine harte Arbeit, hmm? Und dann auch noch zwischen den Feiertagen.«
    »Das können Sie laut sagen. Ein Spaß ist das nicht. Die lügen uns in ihrer Not gleich die Hucke voll, wo sie ihre Papiere gelassen haben. Aber ich kann nix machen, ich muß.« »Und der Krahwinkel?« »Wer?«
    »Der Bauherr.«
    »Ach, der«, der Mann winkt ab. »Kriegt ’ne Geldbuße und kann weitermachen wie gehabt. Das Übliche. Vielleicht kommen wir noch mal wieder. Aber im Grunde ist das ein Witz hier. Ohne die

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