Kirchwies
wollte wieder ins Haus. Da spürte sie, wie ihr Blut über die Lippen rann. Sofort suchte sie mit der einen Hand nach einem Taschentuch, die andere Hand fuhr zur Nase.
Nasenbluten. Wieder einmal. Spätfolge ihres Berufs. Nicht von den Boxkämpfen selbst, aber vom Training und den ungezählten Sparringrunden, in denen man bei aller Meisterschaft oft einen Schlag gegen die Nase einfing, hatte sie sich das Leiden geholt. Bei kleinster Belastung wie Niesen oder Schnäuzen platzten feine Äderchen in der Nase, und es kam zu starken Blutungen. Man hatte ihr die Nase dreimal in der Klinik verätzt. Danach blutete sie seltener, aber wenn, dann heftig. Immer wieder stand sie stumm über die Badewanne, das Waschbecken oder eine Schüssel gebeugt, einen kleinen See gerinnenden Blutes unter sich. Unbeweglich wie eine Statue, damit sich die verdammte Nase beruhigte. Diesmal schaffte sie es nicht einmal bis ins Haus. Das Blut floss in senkrechtem Strahl in das Zinnienbeet neben der Terrassentür.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, hörte sie eine Stimme unmittelbar hinter sich.
Ach, der Journalist, dessen Namen sie sich ums Verrecken nicht merken konnte. Sie behielt den Kopf unten und schielte nach hinten.
»Einen Eimer. Eine Gießkanne. Eine Schüssel«, schnorchelte sie und ruderte hinter dem Rücken mit den Armen.
Aus ihrer Froschperspektive sah sie ihn vor sich. Schwarze Baseballmütze, Brille, Dreitagebart, Jeanstyp.
Der Journalist. Er war heute kurzfristig mit dem Zug für eine Reportage über Kirchwies, das Herzlichste Dorf, angereist und hatte sich am Bahnhof ein Fahrrad ausgeliehen. Morgen wollte sie ihn dem Bürgermeister vorstellen. Trotz des Dilemmas, in dem sie steckte, musste sie nervös kichern. Jetzt konnte er eine Reportage über eine viel spannendere Story machen.
»Haben Sie das öfter?«, fragte er. Als er keine Antwort erhielt, wollte er es wissen. »Ist etwas passiert?«
Wie er darauf käme, fragte sie ihn, als sie sich wieder gefangen und den Kunststoffeimer von Blut gesäubert hatte.
Ein schrecklicher Verdacht keimte in ihr auf. War der Journalist vielleicht nicht erst heute Nachmittag in Kirchweis eingetroffen?
Fritzi Gernot hatte keine nennenswerte Erfahrung mit solchen Dingen. Sie hatte in ihrem Leben nicht einen einzigen Kriminalroman gelesen. Lediglich die Sonntagabendkrimis im Fernsehen sah sie sich ab und zu an. Dennoch betrachtete sie den Journalisten argwöhnisch aus den Augenwinkeln. War das Verbrechen, die Gewalt mit dem Journalisten eingezogen?
Sie selbst, Fritzi, hatte das Gartenfest kurz vor Mitternacht verlassen, um Odilo ins Bett zu bringen. Danach war sie noch einmal hingeradelt und hatte sich gegen zwei endgültig verabschiedet. Thea hatte noch gelebt. Sie musste also in den folgenden Stunden ihrem Mörder begegnet sein.
Eine Mörderin käme zunächst nicht in Frage, hatte Campari gemutmaßt. Keine Frau käme auf die Idee, ihr Opfer mit einem Elektrokabel zu fesseln. Sie hätte wohl auch kaum die Fertigkeit und die Kraft dazu. Der Mörder müsste also eher handwerklich begabt sein. Herauszufinden, woher das Kabel stammte, ob mitgebracht oder vielleicht aus Theas Gartenhaus, war nach Campari einer der vordringlichsten Punkte seiner Ermittlungsarbeit.
Fritzi musterte den Mann erneut, diesmal eindringlicher.
»Sind Sie ein Heimwerker?«
»Reparieren Sie Ihre Kaffeemaschine selbst?«
»Wo waren Sie vergangene Nacht zwischen zwei und acht Uhr?«
Diese Fragen hätte sie ihm gern gestellt.
Ja, sie würde Campari bei seinen Ermittlungen zur Seite stehen. Ja, gern würde sie alles tun, was in ihrer Macht stand und wessen sie fähig war. Sie wollte den Tod ihrer Freundin aufklären helfen.
Jetzt aber musste sie erst einmal nach Odilo schauen.
Wieder streifte sie den Journalisten mit einem nervösen Blick.
Wo Odilo sich nur wieder herumtrieb?
* * *
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die grauenhafte Nachricht vom Mord. Nichts annähernd Vergleichbares hatte Kirchwies jemals erlebt. Pater Timo erfuhr es fast gleichzeitig von drei Seiten.
Die Wirtin vom Kirchwieser Löchl klopfte aufgeregt an der Tür und berichtete brühwarm.
»Stellen S’ Eahna vor, die Frau Brommel ist erschossen worden.«
Selbst Campari rief an, um ihn kurz zu informieren. »Haben Sie einen begründeten Verdacht?«, fragte er den Pater auf seine überaus charmante Art.
Pater Timos erster Gang war in seine Kirche. Dort sprach Jesus vom Kreuz zu ihm herab. »Es ist etwas Schreckliches geschehen«, sagte
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