Kirchwies
hinter sich, überquerte den Feldbach, an den sie neuerdings so schlechte Erinnerungen hatte. Zur Linken der Schmied, zur Rechten die Sparkasse mit Camparis Rathaus. Dort, wo der Libellenweg zum Berg hin abzweigte, wich sie heftig klingelnd einer Schar Hühner aus, die gackernd und kopflos über die Straße rannten. Ein Zeichen, dass Wang Ming wieder einmal vergessen hatte, den Stall abzuschließen.
Droben über dem Lichtschein lebten die Schafhirten und Bergbauern, die ihre Almen bewirtschafteten. Als die Kirchenuhr elf Mal schlug, war der schiefe Glockenturm schon von Weitem zu erkennen. Fritzi wunderte sich, dass die Glocken überhaupt noch funktionierten und dass sie nicht ganz abgestellt waren. Schon erkannte sie das Pfarrhaus und die hell beleuchtete Unfallstelle am Kirchwieser Löchl.
Sie war gespannt, wer am Steuer des Buick gesessen hatte. Wer anders als Scheiberl sollte es gewesen sein?
Gab es einen Zusammenhang zwischen dem Unfall, dem Mord an Thea und etwa gar Odilos Entführung? Waren bei Theas Ermordung wirklich absichtlich falsche Fährten gelegt worden, wie Campari vermutet hatte, und sie so erfolgreich daran gehindert worden, dem wahren Motiv auf die Spur zu kommen?
Fragen über Fragen, als sie bremste und vom Fahrrad stieg.
»Wandra?«, fragte sie ungläubig.
»Wenn ich dir’s sag«, gab Campari zurück. »Die Tätowierungen allerdings erkennt man gar nimmer.«
»Ja, aber warum …«
»Warum? Wissen wir alle nicht. Er hat sich den Buick von Scheiberls Hof geholt und ist damit losgefahren.« Versonnen sah er um sich. Sie hatten sich mitten unter die Tische mit den Resten des Hochzeitsessens im Löchl gesetzt. »Vielleicht hatte die Heidi doch recht mit ihrer Vermutung.«
»Vom Selbstmord? Sieht doch ganz danach aus, oder? Sag du noch mal was gegen weibliche Intuition.«
Campari gab sich geschlagen. Er stand auf und ging ein paar Tische weiter. Mit einem Tablett kam er zurück.
»Hier. Eine Kanne, zwoa Schuxn und a Auszogne, die bayerischen Spezialitäten zum Kaffee. Was zum Aufwachen und was Guads zum Essen.«
»Und fürs Sodbrennen«, erklärte Fritzi bestimmt. »Von diesem Schmalzgebackenen krieg ich jedes Mal Sodbrennen. Einen Kaffee nehm ich gern, danke.«
»Einer der möglichen Tatverdächtigen ist tot«, begann Campari.
Er trug eine weite graue Hose, aus der hinten ein langärmeliges weißes Hemd heraushing. Das Rosa im runden Gesicht kam von reichlich Schweinsbraten, fetten Soßen und zu viel Bier. Bluthochdruck eben.
»Wer also kommt für den Mord noch in Frage, Fritzi?«
»Scheiberl!«, kam es ohne jedes Zögern aus ihrem Mund. »Wang Ming, das glaube ich nicht. Was ist eigentlich jetzt mit dem vermeintlichen Vater von Theas Sohn? Ist der gefunden? Und …«
»… und der fremde Journalist?«, unterbrach Campari. »Wo hält sich der eigentlich momentan auf?«
Fritzi fuhr es heiß und kalt den Rücken hinunter. Wenn Campari wüsste … Sie durfte es ihm unmöglich verraten. Gerade wollte sie vor die Tür gehen und zum Handy greifen, da hakte Campari nach.
»Also für mich hat die Tat einen weiblichen Zuschnitt«, sagte er. »Ich hab das auch mit den Münchener Kollegen besprochen. Die Entführung deines Sohnes steht für mich in engem Zusammenhang mit dem Mord an Thea. Mit anderen Worten: Ich bin der festen Ansicht, dass Odilo von der Frau entführt wurde, die Thea getötet hat. Ein Mann hätte ihn versteckt oder wahrscheinlich sogar …« Verlegen sah er in die andere Richtung.
»Umgebracht, meinst du?«
Fritzi stand der Schweiß auf der Stirn. Sie musste sofort zu Hause nachsehen.
Es war eine sehr klare Nacht. Als der Mond sich über die Kiefern erhoben hatte, der Boden vom Tag noch warm war und sich langsam Tau auf den Geranienblättern bildete, kletterte Odilo mit seinem Schlafteddy – er hieß Maxi – im Arm durchs Fenster seines Kinderzimmers und schlich zur Terrasse. Er hatte keine Schuhe an und bewegte die Zehen auf den sonnengewärmten Fliesen. Als er genug hatte vom Blick auf den mondbeschienenen Garten, gähnte er leise und lange, hockte sich mit verschränkten Beinen nieder und dachte über verschiedene Begebenheiten nach.
Am meisten beschäftigte ihn nach wie vor seine eigene Entführung. Die Erwachsenen machten ein Riesenproblem darum, runzelten die Stirn, Mama hatte sogar geweint. Er selbst hatte die Stunden spannend gefunden.
Er mochte Margot, die Frau des Bürgermeisters. Sie konnte feine Sachen kochen und war lustig. Auch dass sie und ihr Mann
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