Kirchwies
Umarmungen vom Brautpaar zu verabschieden, als draußen ein besonders helles Licht leuchtete, die Luft brannte und Kirchwies in Flammen stand.
Panik brach aus. Niemand wusste, was los war.
* * *
»Ja mei!«
Es war frühe Nacht geworden. Mitten in die Aufräumarbeiten der Feuerwehr an der Kirche hinein fing Fritzis Nase wieder an zu bluten. Und wie! Sie hatte nur kurz nach dem Rechten schauen wollen, weil Campari ihr das angeschafft hatte. Das ganze schöne rote Blut versickerte nutzlos im dunkelgrünen Grund des Pfarrgartens.
»Werden schon prächtige Blumen draus wachsen«, sagte sie zu Odilo, dem das Ganze wurscht war. Das hatte er schon oft gesehen. Für ihn war Mamas Nasenbluten so normal wie ihr Nasenschnäuzen.
»Ackern und Düngen ist besser als Beten und Singen«, sagte er cool und klopfte ihr liebevoll auf den Rücken.
Diesmal hörte das Bluten bald wieder auf. Fritzi sah sich um. Sie befanden sich auf geweihtem Gelände. »Wirst du wohl …«, wollte sie schon ausholen. Doch dann musste sie nur laut lachen. Lachen und lachen und lachen, bis alles Lachen aus ihr heraus war.
Und bis Felix Breitenberg neben ihr stand. »Ich komm mit«, sagte er.
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Fritzi.
Doch so richtig überzeugt war sie selbst nicht von ihrer Antwort. Sie hatte sich vorgenommen, nach Mehmet Wandra, dem Tätowierten, zu schauen. Als selbstmordgefährdet hatte Heidi ihn beschrieben. Freilich. Er war in Thea verliebt gewesen, wie er selbst zugab, und die Dorfbewohner schienen ihn miserabel behandelt zu haben. Doch war das ein Grund, sich umzubringen?
»Ich könnte dir ja beistehen«, sagte der Journalist. Er sagte einfach »du«.
»Wobei könnten Sie mir beistehen?«
»Na, Händchen halten und so, während du dem Wandra beistehst«, sagte er und versuchte, ihre Hand zu greifen.
»Oh ja, Mama, halt mein Händchen«, nuschelte Odilo und nahm die andere Hand in Besitz.
Die Feuerwehrleute hatten zuvor eine Kette gebildet, um die Trümmer und den Schutt aus der Kirche zu schaffen. Breitenberg hatte vergebens versucht, sich in die Kette einzuschleichen.
Nun versuchte er, sich an Fritzi heranzumachen.
Fritzi war auf dem hügeligen Weg vom Pfarrhaus durch das Grün hinunter zur Straße stehen geblieben. Länger als zehn Sekunden sah sie ihm in die Augen. Breitenberg hielt ihrem Blick mühelos stand.
Dann nahm sie seine Hand.
Anschließend platzte die Bombe.
Der Buick begann wie wahnsinnig zu hupen. Die Hupe klang heiser und machte einen unverschämten Krach. Der Wagen raste auf der Dorfstraße mitten durch Kirchwies und scherte sich offenbar einen Teufel um das Fahrverbot. Das grüne Dach glänzte im Licht der Straßenlaternen. Die Weißwandreifen vibrierten im Dunkel. Pulverisierter Straßenstaub kennzeichnete den Weg des verrückt gewordenen Wagens. Hinter ihm drängte ein leichter Nordwest den Staub nach Südost und verhüllte Wiesen, Fluss und Tiere hinter einer nächtlich dunkelgrauen Wand.
»Der spinnt, der Scheiberl«, schrie Fritzi mit vor Schreck geweiteten Augen.
»Das ist nicht der Scheiberl«, sagte Breitenberg gelassen.
»Natürlich! Das ist doch sein Auto!«
»Aber das Auto fährt nicht allein. Es hat einen Fahrer. Und das ist nicht der Scheiberl.«
Hand in Hand hangelten die drei sich vorsichtig den Hang hinunter.
Der Buick entfernte sich mit blinkenden Lichtern schneller und schneller und hielt auf die kleine Brücke beim Rathaus zu, die über den Feldbach führte.
»Obercool«, rief Odilo entzückt aus. Er stellte sich vor seine Mutter und streckte ihr die Ärmchen entgegen. Sie nahm ihn auf den Arm, von wo aus er einen besseren Blick hatte. Der Kleine winkte dem Raser hinterher und kreischte vor Freude.
»Das war nicht der Scheiberl«, betonte Breitenberg noch einmal.
»Wer denn sonst?«, rief Fritzi ganz außer sich. »Wer soll denn sonst dem Scheiberl sein blödes Auto fahren? Der lässt doch keinen andren ans Steuer!«
»Weiß ich nicht. Aber der Scheiberl war’s nicht.«
Sie waren fünf Meter von der Straße entfernt.
Er fasste sie um die Hüfte. Sie ließ es geschehen. Seine Hand fühlte sich warm und weich an. Mit großen Augen verfolgte sie die Höllenfahrt des Buick.
Odilo verhielt sich ruhig.
Der Wagen hatte die Brücke erreicht und nahm ihren Buckel wie ein Hindernisläufer. Die Rücklichter verschwanden hinter der Biegung, und im nächsten Augenblick wurde die Nachtruhe zerrissen von kreischenden Bremsen und schlitternden Reifen. Das Auto selbst
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