Kirmes des Todes
ich kann aber auch das Vierfache der ursprünglichen Gebühr verlangen.“ Zimmer fühlte sich sicher. „Walter hat mich darauf hingewiesen. Der Hinweis war für mich von Vorteil“, bekannte er offen.
Und für seine Freunde bei den Genossen nicht von Nachteil, dachte sich Bahn. Er erinnerte sich daran, daß die SPD ihre großen Veranstaltungen alle in der Birkesdorfer Festhalle abhielt. Vielleicht können die Genossen die Halle kostenlos nutzen, dachte er sich. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Zimmer seinen Vorteil mit Geld schmierte. Dazu war der Wirt zu korrekt.
Bahn war es schließlich, der Gisela zum Aufbruch drängte. „Die Nacht ist so kurz und der Chef ist morgen nicht da.“ Zufrieden fuhren die beiden über die Zollhausstraße in Richtung Düren. Bahn glaubte, am Straßenrand den Polo von Waldhausen erkannt zu haben.
„Da hast du dich garantiert getäuscht, mein Lieber“, sagte Gisela lachend und kraulte ihm den Nacken. „Der ist doch längst in Bonn und treibt dort sein Unwesen.“
„Na klar“, entgegnete Bahn launisch, „der mischt jetzt im Altenclub seiner Mama die Rommekarten.“ Bahn hatte es eilig, er wollte ins Bett, er wollte Gisela.
Als er die Haustür öffnete, stolperte er fast über den Briefumschlag. Verwundert öffnete er ihn und zog die Blätter hervor. „Weißt du, was das soll?“, fragte er Gisela.
„Woher?“, fragte sie zurück. „Ich gehe schon ins Bett. Laß mich nicht zu lange warten.“
Erstaunt las Bahn die Notiz, die Waldhausen den Kopien angeheftet hatte. „Helmut, das ist eine Geschichte des ehemaligen Kollegen Konrad Schramm. Wenn du sie gelesen hast, bist du bestimmt einen Schritt weiter. Viel Spaß!“
Was soll das? Bahn konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was sollte er mit einer Geschichte von Konrad? Der war doch längst tot.
Er erinnerte sich an die Geschichtensammlung, die Konrad für Thea geschrieben hatte. „Wenn die Wahrheit auf der Strecke bleibt“ oder so ähnlich hieß die Überschrift. In seiner Sammlung hatte Konrad Schramm alle die Geschichten rund um das Tageblatt und seine Arbeit aufgeschrieben, die nicht veröffentlicht werden konnten, weil sie entweder erfunden oder nicht zu beweisen waren. Es waren halt nur Geschichten, die aber einen wahren Kern hatten. Die letzte Geschichte, die sein Freund Konrad hatte schreiben wollen, würde ihm in ständiger Erinnerung bleiben. Die letzten Sätze von Konrad würde er nie vergessen. „Die Kommunalwahl am Sonntag, 3. November, hat zu einem sensationellen Machtwechsel im Dürener Rathaus geführt. Und nicht ganz unschuldig an diesem Machtwechsel ist die lahme Schwester’.“ Das war ein Hammer gewesen.
Jetzt hielt Bahn wieder eine Geschichte von Schramm in den Händen, wahrscheinlich fiktiv} übertrieben, nicht der Wirklichkeit entsprechend. Aber nicht unbedingt falsch.
Wieso hatte Waldhausen diese Geschichte? Bahn schloß die Augen und überlegte. Da fiel es ihm ein. Auf dem Kirmesplatz war es gewesen. Thea hatte davon gesprochen, daß Konrad eine Geschichte über die Annakirmes geschrieben hatte. Er hatte der Bemerkung keine Bedeutung beigemessen, offensichtlich anders als Waldhausen. Der hat doch tatsächlich Thea darauf angesprochen und sich die Geschichte besorgt, meinte Bahn bewundernd. Sie hätte mir ja wohl was davon sagen können. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, genehmigte sich noch eine Flasche Bier und nahm die Geschichte zur Hand.
Das konnte doch nicht sein! Entgeistert legte Bahn die Blätter zur Seite. Immer schneller war er über die Zeilen geflogen, immer deutlicher zeigte sich ihm das Schicksal von Kirmes-Schmitz. Es war keine Geschichte über die Annakirmes, es war eine Geschichte über Kirmes-Schmitz gewesen, die Schramm geschrieben hatte. Immer deutlicher wurde es Bahn, daß er zwar viel über die Annakirmes wußte, aber eigentlich doch nichts.
„Kirmes-Schmitz“, so hatte Schramm seine Geschichte betitelt Schramm hatte zunächst geschildert, daß Kirmes-Schmitz seit dem Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg an der Annakirmes mitgewirkt hatte. Schließlich kam er auf das letzte Jahr der Kirmesaktivität des Wirtes und Losverkäufers zu sprechen.
„Der Abschied vom Kirmesdirektor war herzlich. Kirmes-Schmitz umarmte den alten Weggefährten und Protagonisten und schenkte ihm zum Abschied eine Bierkrug-Sammlung.
Kirmes-Schmitz hatte in jedem Jahr einen neuen Bierkrug für die Annakirmes entwerfen und
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