Kirschenküsse
Grottendach saßen, doch schließlich mussten wir wieder zurück. Fledermäuse hatten wir bislang nicht gesehen, aber wahrscheinlich spürten die Flattermänner, dass Menschen in der Nähe waren, und ließen sich deshalb nicht blicken.
Der Rückweg war der gleiche wie der Hinweg, inklusive Zaunkletterei. Diesmal hatte ich ein wenig mehr Vertrauen in Thomas’ Fangkünste, und bevor wir uns verabschiedeten, küssten wir uns noch einmal.
Benommen von so viel Glück, taumelte ich ins Schloss zurück, und nachdem Thomas die Tür hinter mir verschlossen hatte, blickte ich ihm durchs Fenster nach.
Jetzt konnte ich unmöglich schon auf mein Zimmer zurück!
Ich lehnte mich an die Wand, schloss die Augen und lächelte vor mich hin, während mein Herz immer noch einen wilden Tanz aufführte.
Pantoffelspurt
Am nächsten Morgen erhielt ich die Quittung für mein nächtliches Rendezvous. Ich schlief tief und fest weiter, obwohl der Wecker schon geklingelt hatte, und musste von Anett wach gerüttelt werden.
»He, wach werden!«, sagte sie anklagend und hielt mir ihren Wecker ins Gesicht. »Es ist gleich halb acht! Wenn du noch was vom Frühstück abbekommen willst, musst du jetzt aufstehen.«
Ach du Schande!, dachte ich und war plötzlich hellwach. Hastig schwang ich meine Beine über die Bettkante. Wie hatte ich selbst Anetts quäkenden Wecker überhören können?
Carla und Nicole waren natürlich schon weg. Wahrscheinlich hat sich unsere Tussi köstlich über mich amüsiert, und hätte ich Anett nicht gehabt, wäre ich wahrscheinlich bis zum Mittag liegen geblieben!
Anett wartete auf mich, während ich in den mittlerweile fast leeren Duschraum ging und mich einer schnellen Katzenwäsche unterzog. Heute stand zum Glück kein Frühsport an, wie ich von Anett erfuhr. Beim Outfit griff ich auf das zurück, was ich gestern bei dem Grottenausflug mit Thomas getragen hatte. Ich konnte in diesem Augenblick nicht einmal mehr sagen, wie es mir eigentlich gelungen war, unbemerkt wieder in meine Schlafsachen zu schlüpfen. Mein Glücksgefühl hatte alles vernebelt.
Anett schien aber glücklicherweise trotz der wild über dem Stuhl hängenden Sachen keinen Verdacht zu schöpfen.
»Nun beeil dich schon, du lahme Schnecke, sonst ist nachher der ganze Kuchen weg und ich habe heute großen Appetit auf Kuchen!«
»Ja, ja, ich mach ja schon«, brummte ich und zog mir das Shirt über den Kopf. Es war ein wenig zerknittert, aber damit musste ich wohl leben.
Als ich fertig war, liefen wir beide nach unten in den Frühstücksraum.
»Danke, dass du auf mich gewartet hast«, sagte ich auf dem Weg zu Anett.
»Schon gut.« Jetzt lächelte sie wieder. »Wäre ja blöd, wenn du alleine hättest essen müssen.«
Tatsächlich war der Kuchen schon sehr stark geplündert worden, als wir endlich in den Raum traten, aber ein paar Kirschteilchen und Mohnschnecken waren noch da. Anett schaufelte sich den Teller voll, als fürchte sie, sie würde den ganzen Tag über nichts mehr zu essen bekommen.
Ich griff mir eins der Kirschteilchen, weil ich hoffte, damit die Erinnerung an das Rendezvous mit Thomas noch ein wenig zu intensivieren. Hunger hatte ich allerdings wenig, vielmehr machte mein Magen bei jedem Gedanken an gestern Abend einen Satz.
Während wir zum Tisch gingen, spürte ich die Blicke der anderen Modekursteilnehmer, die sich wohl an den gestrigen Vorfall erinnerten und sich wunderten, dass ich noch immer da war.
Durch mein Glücksgefühl und die Bilder von unserem Kuss im Kopf hatte ich schon fast verdrängt, dass auch Norman noch immer hier war. Eigentlich wollte ich es gar nicht, aber mein Blick schweifte über die Tische und tatsächlich fand ich auf Anhieb meinen Erzfeind. Er hielt diesmal den Kopf gesenkt und rührte missmutig in seinen Frühstücksflocken herum. Was war denn los? Konnte er es nicht aushalten, mich mal in Ruhe zu lassen?
Da ich mir über den Grund seiner schlechten Laune keine Gedanken machen wollte und dafür sowieso viel zu gut gelaunt war, biss ich in den Kuchen. Der Geschmack der Kirschen tat sofort seine Wirkung und zauberte mir den Geschmack von Thomas’ Kuss wieder auf die Lippen.
Dass Norman und ich wirklich wieder in den Kurs gelassen wurden, schien einige Campteilnehmer tatsächlich ziemlich zu verblüffen. Ich hatte keine Ahnung, wie hoch Normans Pegel an kollegialem Neid war, aber dass meiner hoch war, konnte ich förmlich spüren.
Die ganze Zeit über würdigten Norman und ich uns keines Blickes,
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