Kirschenküsse
passierte es. Ohne Vorwarnung oder dass einer von uns noch etwas gesagt hätte. Thomas beugte sich vor und seine Lippen trafen meinen Mund!
Ich schloss sofort die Augen und vielleicht verzog ich auch ein wenig überrascht das Gesicht. Ich hatte keine Ahnung, denn in diesem Augenblick konnte ich nur daran denken, dass dieser Kuss gar nicht so eklig war, wie Mona und ich es uns immer vorgestellt hatten. Genau genommen war er überhaupt nicht eklig, ganz im Gegenteil. Thomas Lippen waren warm und weich und schmeckten nach Kirschen. Sensationell!
Als der Kuss vorbei war, stand ich verdattert da, wie zur Steinsäule erstarrt, und bekam nicht mit, dass ich meine Augen immer noch geschlossen hielt.
»Kannst jetzt wieder hinschauen«, sagte Thomas, während seine Hände immer noch auf meinen Schultern lagen.
Vorsichtig öffnete ich die Augen, als fürchtete ich, dass das alles nur ein Traum war und ich beim Aufwachen auf eine feuchte Hundenase blickte. Doch tatsächlich stand Thomas vor mir und seinen Kuss konnte ich immer noch auf meinen Lippen spüren.
»Na, bist du jetzt sehr erschrocken?«, fragte er und grinste schon wieder. Offensichtlich war das nicht sein erster Kuss gewesen.
War ich etwa an den Schlosscasanova geraten?
Wenn ja, so war es mir in diesem Augenblick dennoch egal. Der erste Kuss sollte etwas Besonderes sein, darüber waren Mona und ich uns trotz aller Skepsis einig gewesen. Konnte es denn noch besser kommen, als sich mit einem gut aussehenden Jungen im Mondschein neben einem Muschelbrunnen zu küssen?
Wieder kam der Wunsch auf, nach meinem Handy zu greifen und Mona eine Nachricht zu schicken. Doch ich drängte ihn zurück, denn ich wollte diesen Augenblick nicht zerstören. Ich konnte ihr ja auch noch später davon berichten. Auch wenn sie mir immer noch nicht geantwortet hatte …
Thomas schaute mich weiter erwartungsvoll an und so lächelte ich und schüttelte den Kopf. Arm in Arm gingen wir wieder die Treppe hinauf, begleitet vom Plätschern des Brunnens hinter uns.
Angesichts dieser neuen Entwicklung war ich nun nicht mehr traurig, dass meine Münzen nicht getroffen hatten.
Schweigend folgten wir dem Kieselweg. Wie schon bei der Nachtwanderung starteten Mücken und Nachtfalter Angriffe auf uns, aber das machte mir nichts aus. Als ein Rascheln neben uns ertönte, blieben wir stehen und sahen im nächsten Augenblick einen Igel, der mit für ihn schnellen Schritten über den Kiesweg huschte. In der Ferne sangen die Unken im See, was wir bei der Nachtwanderung vor lauter Lärm gar nicht mitbekommen hatten. Eine Wolke schickte sich an, vor den Mond zu wandern, doch sie erreichte ihn nicht ganz und leuchtete gelb auf, als sie unter dem Mond vorbeiglitt.
Schließlich erreichten wir die Grotte, und ich stellte fest, dass sie im Mondschein einfach nur malerisch aussah. Warum setzten sich die Teilnehmer des Malkurses nicht einfach hierhin und malten dieses traumhafte Gebilde?
»Na, was sagst du dazu?«, fragte mich Thomas, als wir in die Grotte eintauchten.
»Gibt es hier auch Fledermäuse?«, war das Erste, was mir dazu einfiel.
»Nein, hier gibt es keine, die leben alle im Pavillon. Und um diese Zeit wären sie auch nicht hier. Wenn wir uns nachher irgendwo hinsetzen, können wir vielleicht ein paar von ihnen bei der Jagd beobachten.«
»Das wäre toll.« Ich machte eine kurze Pause und blickte mich noch weiter um. »Es ist hier sehr romantisch. Beinahe wie in Venedig, auch wenn ich noch nie in Venedig war.« Daraufhin musste ich lachen und Thomas stimmte mit ein. Doch ich fand, dass der Venedig-Vergleich gar nicht mal so fehl am Platze war. Okay, der Bach war kein Kanal wie der Canale Grande, aber ich stellte es mir in Venedig nicht weniger schön und romantisch vor.
»Setzen wir uns oben auf die Grotte, da gibt es Bänke«, schlug Thomas vor.
Wir gelangten über einen schmalen Weg in den höher gelegenen Teil des Gartens. Nun konnten wir das Grottendach betreten, von wo aus wir einen herrlichen Blick auf den restlichen Garten hatten.
Nachdem wir uns auf eine der Bänke niedergelassen hatten, schmiegte ich mich an Thomas und er legte den Arm um meine Schultern. Eine Weile saßen wir schweigend da und ließen die Schönheit der Nacht und die Stille auf uns wirken.
Dann fragte er: »Wie ist eigentlich die Sache mit der Prügelei ausgegangen?«
Das hatte ich mittlerweile so weit beiseitegedrängt, dass mich die Frage ein wenig überraschte.
»Wie du siehst, bin ich noch hier«, entgegnete
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