Kirschenküsse
überrascht wie ich von ihrem Auftauchen.
Erschrocken blickten wir die Frau an, und ich war mir ganz sicher, dass sie gleich unsere Tickets sehen wollte.
Glücklicherweise gab es außer der Tür, die die Museumswärterin versperrte, auch noch eine kleinere, die direkt in den Gang führte. Da wir nicht vorhatten, wieder zurück zur Latschentruhe zu laufen, sprangen Anett und ich wie abgesprochen aus den Pantoffeln und rannten los.
»He, was soll das?«, tönte die Stimme der Wärterin hinter uns her, aber wir hörten nicht darauf. Barfuß und mit unseren Schuhen in den Händen preschten wir durch den Gang, bis wir die Treppe erreichten, die zu den Schlafräumen führte.
»Das war wohl nichts«, keuchte Anett, während sie sich am Geländer abstützte.
»Nein, nicht wirklich«, gab ich zu, ebenfalls keuchend. »Wären die Lichtverhältnisse besser gewesen, hätte ich es im Kasten gehabt, doch so …«
»Dann wirst du deiner Freundin ein anderes Bild schießen müssen, vielleicht eins von den Gemälden in den Gängen. Oder du kaufst am Kiosk eine Postkarte, vielleicht haben sie das Motiv, das du fotografieren wolltest.«
Das war natürlich auch eine Möglichkeit. Ivy hatte zwar von einem Foto gesprochen, aber vielleicht würde es auch gelten, wenn ich es von der Postkarte abfotografierte. Die könnte ich zumindest so ins Licht legen, dass man jede Einzelheit erkennen kann.
Überraschungen
Wie erwartet wurde der Tag sehr arbeitsreich. Während die anderen ihre Modelle schon fast beendet hatten, kämpfte ich regelrecht darum, wieder den Anschluss zu bekommen.
Nach Ende des Kurses fragte ich Frau Tizian, ob ich noch ein bisschen länger an meinem Modell arbeiten dürfte. Sie gewährte es mir, unter der Auflage, später den Raum abzuschließen und ihr den Schlüssel zu bringen, damit nicht wieder jemand auf die Idee kam, das Modell eines anderen Teilnehmers zu beschädigen. Ich wünschte, diese Idee hätte sie gehabt, bevor mein Kleid unter Normans Finger geraten war …
Zwischendurch schaute Anett nach mir und schmuggelte Kuchen aus dem Café zu mir herein, was ich sehr nett fand.
»Wenn Frau Tizian das sehen könnte, würde sie sicher ausflippen«, sagte ich, als ich mir die Himbeertorte schmecken ließ.
»Sie sieht es ja nicht«, bemerkte Anett lächelnd. »Außerdem musst du ja nicht wie das Krümelmonster essen.«
Da hatte sie recht, und wahrscheinlich war es auch hilfreich, wenn ich den Teller nicht im Raum vergaß.
»Ich habe vorhin übrigens mal am Kiosk geschaut, ob sie dein Kleid als Postkarte haben.«
»Und?«
»Fehlanzeige! Deshalb verstehe ich auch nicht, warum man es nicht fotografieren darf.«
»Vielleicht denken sie, dass wir Postkarten drucken und verkaufen würden«, entgegnete ich und steckte mir das letzte Stück Kuchen in den Mund. Ich hätte noch mehr vertragen können!
»Als ob wir das machen würden!«, platzte es aus Anett heraus. »Außerdem, wer kauft außerhalb des Schlosses schon Postkarten von einem alten Gemälde. Und dann noch von so einem finsteren! Auf die Idee kommt man nur, wenn der Geruch dieser Mauern einem den Verstand vernebelt.«
Da musste Anett aber sehr vernebelt sein, wenn man sich mal all die Prospekte anschaute, die sie sich zugelegt hatte. Und wo sie schon mal am Kiosk war, hatte sie bestimmt Karten oder weitere kleine Heftchen über das Schloss mitgenommen.
Doch ich sagte dazu nichts.
»He, wie wäre es, wenn wir uns in den Ferien mal treffen würden?«, fragte ich stattdessen. So nett wie sie war, konnte ich mir durchaus vorstellen, auch nach dem Camp etwas mit ihr zu unternehmen.
»Willst du denn wirklich mit jemandem aus unserer Schule befreundet sein? Immerhin gehst du aufs Gymnasium.« Anett legte den Kopf schief und funkelte mich schelmisch an. Spürte sie, dass auch ich nicht frei von Vorurteilen war? Aber es war mir doch egal, auf welche Schule sie ging! An meiner Schule gab es genug Blödmänner, die mir zeigten, dass es mit der Schulart gar nichts zu tun hatte, ob jemand nett oder eben blöd war.
»Klar doch«, antwortete ich. »Was hat denn Freundschaft mit Schule zu tun?«
»Und deine anderen Freundinnen?«
Jetzt fiel mir ein, dass ich ihr noch nichts von meinem Streit mit Mona erzählt hatte. Würde ich bei Gelegenheit aber noch nachholen, das nahm ich mir fest vor.
»Die werden dich bestimmt mögen«, entgegnete ich also und versuchte, so überzeugend wie möglich zu klingen.
»Gut, dann treffen wir uns mal. Allerdings werde ich nach
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