Kirschroter Sommer (German Edition)

Entspannung für meine steife Nackenmuskulatur gönnte.
    Als ich zurück ins Zimmer kam, war es schon sehr spät, und eigentlich hätte ich Schlaf bitter nötig gehabt. Trotzdem setzte ich mich noch kurz an meinen Laptop und rief meine E-Mails ab. Wie sich zeigte, hatte ich Glück.
    Liebe Emely,
    na? Wie verbringt eine bezaubernde Frau wie du ihren Sonntagabend? So wie ich dich kenne, steckst du bestimmt bis zum Hals in deinen Büchern und gönnst dir keinerlei Pause.
    Bist du wenigstens gut vorangekommen?
    Ich musste wirklich schmunzeln über deine Vermutungen, was ich mit dem Satz, ich würde deinen Vorstellungen nicht entsprechen, gemeint hätte. Du liegst in allen deinen Punkten falsch – einschließlich dem Verdacht, dass ich zwei Köpfe hätte!
    Und bevor du fragst, nein, ich würde mich – ohne jetzt arrogant klingen zu wollen – auch nicht als hässlich bezeichnen.
    Worauf ich eigentlich hinaus wollte, war, dass du dir mit Sicherheit ein gewisses Bild von mir zurecht gesponnen hast. Das geschieht ganz automatisch. Und meine Befürchtung liegt einfach darin, dass ich deiner »Luca-Illusion« womöglich nicht gerecht werden könnte.
    Ich weiß, dass du meine E-Mails magst, aber ich frage mich, ob du mich genauso mögen würdest, wenn ich dir gegenübertrete. Kannst du das nachvollziehen, Emely?
    Denk bitte nicht, dass ich mich nicht mit dir treffen möchte. Eigentlich ist sogar genau das Gegenteil der Fall. Ich würde einfach nur gerne noch ein bisschen damit warten. Oder hast du es eilig?
    Ich wünsche dir eine wunderschöne Nacht. Es ist eine Vergeudung, dass du sie allein verbringen musst. (Und nein, das war keine anzügliche Bemerkung, sondern vielmehr eine Feststellung. Ich hoffe, du verstehst mich nicht falsch.)
    Liebe Grüße
    Luca
    Ich zögerte nicht lange und schrieb ihm sofort meine Antwort.
    Hey Luca,
    du liegst leider richtig, mir raucht inzwischen der Kopf. Aber zumindest habe ich einiges geschafft, auch wenn mir der gestrige Tag sehr zum Lernen gefehlt hat. Ich habe ja schon erwähnt, dass meine beste Freundin ziemlich penetrant sein kann, wenn sie etwas möchte … Nun, den Rest kannst du dir denken.
    Du glaubst gar nicht, wie erleichtert ich bin. (Nicht, dass es schlimm gewesen wäre, wenn du zwei Köpfe gehabt hättest … Es hätte bestimmt auch seine Vorteile gehabt, davon bin ich überzeugt!) Aber als ich deine Begründung gerade gelesen habe, ist mir doch ein kleiner Stein vom Herzen gefallen. Um ehrlich zu sein, geht es mir genauso wie dir. Ich kann dich also bestens verstehen.
    Und nein, ich habe ganz und gar nichts dagegen, unser Treffen nicht schon morgen stattfinden zu lassen. Im Gegenteil – wie wäre es in zehn Jahren?
    Doch unabhängig davon, wann es letztendlich so weit sein wird, kann ich dir jetzt schon sagen, dass deine Ängste unbegründet sind. Wer oder was auch immer du bist, Luca, ich habe dich bereits in mein Herz geschlossen. Wir haben so viele Gemeinsamkeiten, dass es fast schon erschreckend ist, und obwohl ich dich kaum kenne, mag ich dich.
    Also zerbrich dir bitte nicht deinen – wie du selbst arroganterweise sagst – hübschen Kopf darüber. Es besteht kein Grund.
    So und jetzt, mein lieber einköpfiger Luca, werde ich, wie du bereits festgestellt hast, »allein« ins Bett gehen. Aber ich denke, ich werde es überleben.
    Ich wünsch dir ebenfalls eine gute Nacht. Schlaf schön!
    Bis bald
    Emely
    Eine Weile später lag ich in meinem Bett, und obwohl ich todmüde war, bekam ich kein Auge zu. Viel zu viele Gedanken schwirrten mir im Kopf umher und ließen sich partout nicht wegschieben.
    Erst war da der Unfall meiner Eltern, den ich immer noch nicht komplett verarbeitet hatte. Dann gab es die Uni, die momentan alles von mir abverlangte. Nicht zu vergessen, hatte Alex endlich ihren Kuss bekommen und eigentlich noch viel mehr als das: Sie war glücklich verliebt und stand am Anfang einer viel versprechenden Beziehung. Nach den ganzen Pleiten, die sie in den letzten Jahren erlebt hatte, gönnte ich es ihr von ganzem Herzen, so jemanden wie Sebastian gefunden zu haben.
    Lucas Mails und die Frage, wie und ob das überhaupt mit uns weitergehen würde, ließ mich ebenfalls nicht los. Und zum Schluss gab es da natürlich noch die vergangene Nacht, die mir gewaltig im Kopf herum spukte: Unsere Gespräche, der Kampf um das Eis und nicht zuletzt die unglaubliche Erkenntnis, dass Elyas damals in mich verliebt gewesen war. Die Vorstellung, es hätte alles ganz anders verlaufen