Kirschroter Sommer (German Edition)
Ausatmen. Etwas, das jeder Mensch tagtäglich tausendmal machte. Doch bei Elyas schien es eine so viel größere Bedeutung zu haben.
»Und manche Menschen verstecken sich hinter einer Maske, weil sie Angst haben, verletzt zu werden.« Noch immer ließen mir Sebastians Worte keine Ruhe und ich fragte mich, ob sie womöglich auf Elyas bezogen waren. Steckten hinter seinen schamlosen Avancen am Ende tatsächlich echte Gefühle?
Unmöglich.
Oder?
Ich wälzte meine Gedanken umher, doch ich kam zu keinem Ergebnis. Das Einzige, was ich wusste, war, dass ich einen starken Drang in mir verspürte. Und würde ich diesem nachgeben, läge ich innerhalb einer Sekunde in seinen Armen.
Es war verrückt. Mehr als das sogar, aber ich kam nicht dagegen an. Ich wollte mich an ihn kuscheln.
Vermutlich würde er nicht mal aufwachen, wenn ich es täte. Trotzdem wagte ich mich nicht. Solange auch nur die geringste Möglichkeit bestand, dass er mich dabei erwischen könnte, war das Risiko zu groß.
Ich versuchte mein Verlangen zu unterdrücken, schloss meine Lider und widmete mich erneut dem aussichtslosen Unterfangen, endlich einzuschlafen.
Ich lag nicht lange so da, als ich auf einmal ein leises Rascheln neben mir hörte. Noch ehe ich es einsortieren konnte, verstummte es wieder, trotzdem lauschte ich weiterhin in die Stille. Und dann raschelte es erneut. Dieses Mal hörte es aber nicht auf. Es kam näher, so als würde Elyas an mich heran rutschen. Regungslos blieb ich liegen, unfähig, mich zu bewegen.
Als sein Bauch meinen Rücken berührte, hielt ich die Luft an. Langsam und kaum wahrnehmbar drückte er auch den Rest seines Körpers an meinen. Sein Unterkörper passte sich der Form meines Hinterns an und seine Knie fanden den Weg an meine angewinkelten Beine. Mir schlug das Herz bis zum Hals und jede Sekunde hatte ich Angst, Elyas könnte das laute Pochen hören. Doch stattdessen legte er behutsam seinen Arm um mich und umfasste meine Hand, die vor meiner Brust lag. An den Stellen, an denen wir uns berührten, entstand eine Wärme, wie ich sie nur von Reibung kannte. Sie legte sich wie ein Schleier über mich und drang durch meine Poren in die Haut, bis tief in mein Innerstes.
Ich spürte, wie er sein Gesicht in meinen Nacken schmiegte, spürte, wie seine Nase über meinen Hals strich und er tief einatmete. Meine Muskeln waren wie gelähmt. Ich blieb liegen, tat so, als würde ich schlafen und verinnerlichte jeden Augenblick, in seinen Armen zu liegen. Ein wohliges Gefühl durchflutete mich, rauschte durch alle Zellen meines Körpers und staute sich konzentriert in meiner Brust.
Ich konnte mich nur an einen einzigen Moment in meinem Leben erinnern, an dem ich diese intensive Wärme, diese kribbelnde Schwerelosigkeit in meinen Adern gespürt hatte. Dieser Moment lag sieben Jahre zurück und dieses Gefühl hatte niemand anderes als dieselbe Person in mir ausgelöst. Mir wurde klar, dass es wahrscheinlich auch niemals einen anderen Menschen geben würde, bei dem ich auch nur annähernd das Gleiche empfinden könnte.
So viele suchen ihr Leben lang vergebens nach ihrem Gegenstück, nach dem fehlenden Teil, das sie komplett macht. Aber weil eine Nadel im Heuhaufen leichter zu finden ist als das, versucht man sich schließlich mit dem zufrieden zu geben, was man stattdessen bekommt und verdrängt mit der Zeit, dass noch etwas anderes, etwas womöglich noch viel Tieferes existieren könnte.
Ich hatte mich gegen Elyas gewehrt. Mehr als das sogar. Doch ich hatte niemals eine Chance gehabt. Ich konnte nicht gegen etwas ansteuern, über das ich keine Macht hatte. Es war wie eine Fügung, der ich mich früher oder später beugen musste, weil Elyas genau dieser Mensch für mich war. Ich spürte eine tiefergehende, übernatürliche Verbindung zu ihm, die mir vorkam wie Magie. Sobald ich in sein Gesicht blickte, wusste ich auf einmal, wer ich war. Und sah er mir in die Augen, wurde ich für die Dauer des Moments zu dem Menschen, der ich immer sein wollte.
Es gab nur eine Sache, die noch deprimierender war, als seinen Gegenpart nicht zu finden. Die Tatsache, ihn gefunden zu haben, aber vermuten zu müssen, dass du für ihn niemals die gleiche Bedeutung haben wirst, die er für dich hat.
Aber in diesem Augenblick, als ich von seinen Armen umgeben war und in einem Bett aus samtweichen Federn zu liegen schien, bekam ich einen Einblick, wie es sein könnte …
Diese Nacht, nur diese eine Nacht wollte ich fühlen, was ich niemals haben
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