Kirschroter Sommer (German Edition)
seine Augen nicht schon groß genug, fügte ich mit einem noch breiteren Lächeln »Im Hauptfach«, hinzu.
Ich war mir sicher, dass man Elyas nicht oft sprachlos erlebte, deshalb nahm ich diesen Augenblick in vollen Zügen in mich auf. Zu meinem Leidwesen ging er allerdings schneller vorüber, als ich es mir erhofft hatte. Bereits kurze Zeit später zuckte erneut einer seiner Mundwinkel nach oben.
»Literaturwissenschaften …«, wiederholte er besonnen. »Wer hätte das gedacht.« Sein Blick brannte sich regelrecht in meine Augen und schien mich mit jeder weiteren Sekunde immer mehr zu durchbohren. Weil ich mir allmählich wie bei der Fleischbeschau vorkam, wandte ich meinen Blick von ihm ab und beschloss, dass es an der Zeit war, zu gehen. Ansonsten hätte ich vielleicht doch noch auf einen Mordanschlag zurückgegriffen, der vermutlich mehr als peinlich ausgegangen wäre.
»Ihr werdet verstehen, dass ich langsam wieder zurück muss«, sagte ich. »Schließlich wartet noch Harry Potter Band 1-27 und dessen Interpretation auf mich.« Ich sah zu Elyas, der eine Augenbraue nach oben zog.
» Harry Potter Band 1-27?«, fragte Alex.
»Das kann dir dein liebenswerter Bruder erklären«, antwortete ich und nahm sie in den Arm, um mich von ihr zu verabschieden. Zwar hatte ich ihr von seinem unverschämten Versuch, sich an mich heranzumachen, erzählt, aber ein paar Details hatte ich dann doch ausgelassen.
Wir lösten uns voneinander. »Okay, dann mach‘s gut. Und vielleicht bis später«, winkte sie.
So unauffällig wie möglich warf ich noch einmal einen Blick auf den Mustang. Welches Baujahr er wohl hatte? Ich schätze es auf 1967 und hätte nur allzu gerne gewusst, ob ich damit richtig lag. Allerdings würde ich den Teufel tun und Elyas danach fragen.
Schweren Herzens wandte ich den Blick von dem Auto ab, drehte mich um und lief zurück auf das Unigelände.
Nachdem ich meine Wohnung erreicht hatte, setzte ich mich gleich an meine Interpretation, um sie noch vor Schichtbeginn fertig zu bekommen. Ich kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich nach der Arbeit sicher nicht mehr dazu in der Lage sein würde. Und siehe da, kaum hatte ich keinen andauernd redenden Störfaktor mehr in meinem Zimmer, kam ich erstaunlich gut voran.
Nach einer Stunde etwa hatte ich es endlich geschafft und wollte schon meinen Laptop zuklappen, als mir auf einmal wieder diese komische E-Mail einfiel. Obwohl es wahrscheinlich besser gewesen wäre, es zu lassen, konnte ich nicht anders und musste sie noch einmal lesen.
Luca … Luca … überlegte ich im Anschluss. Aber nein, ich kannte ganz sicher niemanden, der so hieß, und allzu verbreitet schien mir der Name auch nicht zu sein.
» Was hast du denn zu verlieren?«, hallten mir Alex‘ Worte durch den Kopf.
Ich seufzte, denn eigentlich hatte ich tatsächlich nichts zu verlieren. Trotzdem konnte ich mich noch immer nicht mit der Vorstellung anfreunden, dass es dieser Luca wahrhaftig ernst meinen sollte. Aber was war, wenn doch? Wenn er wirklich zu Hause vor seinem Computer saß und auf eine Antwort wartete?
Ich stützte die Ellbogen auf den Tisch und bettete mein Kinn auf die Hände. Sollte ich? Ich meine, es war ja nur eine E-Mail. Was konnte schon passieren? Wenn seine Rückantwort zu wünschen übrig ließ, wäre ich nicht gezwungen, ihm jemals wieder zu schreiben. Also, was sollte es?
Ich rappelte mich auf und kam mir über die Maßen blöd vor, dennoch hielt ich an meinem Spontanentschluss fest und schrieb einfach das nieder, was mir durch den Kopf schoss.
Hi Luca,
ehrlich gesagt hatte ich nicht vor, dir zu antworten, und ich habe beim besten Willen keine Erklärung dafür, warum ich es trotzdem tue. Schieb es auf vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit.
Falls du irgendwelche psychopathischen Anwandlungen oder sonstige Neigungen besitzt, von denen ich besser wissen sollte, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt, sie zu erwähnen!
Darf ich dich fragen, woher du mich kennst? Gehst du in einen meiner Kurse? Kenne ich dich vom Sehen?
Grüße
Emely
P.S. Ein polizeiliches Führungszeugnis würde mein Vertrauen in dich ungemein stärken!
Ich zögerte eine Weile, drückte dann aber tatsächlich auf »Senden« und schickte die E-Mail ab. Gleich darauf schlug ich mir die Hände vors Gesicht und kam zu der Feststellung, dass ich definitiv einen Vollschaden haben musste und noch viel armseliger war, als ich gedacht hatte. Doch zu spät, nun konnte ich es nicht mehr rückgängig
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