Kirschroter Sommer (German Edition)
Spätvorstellung?«, fragte ich.
»Erst um halb elf«, entgegnete sie locker, als hätte sie noch alle Zeit der Welt.
Ich sah zur Uhr. »Wir haben inzwischen 21:30 Uhr, das ist dir klar, oder?« Ehrlich gesagt war ich ein bisschen verwundert über ihr entspanntes Verhalten, wusste ich doch, dass Alex vor wichtigen Anlässen mindestens zwei Stunden das Bad blockierte und daraus eine regelrechte Zeremonie veranstaltete.
»Was?«, schrie sie auf und sprang vom Bett. »Oh Gott, ich muss mich noch fertig machen!« Genauso schnell, wie sie sprach, griff sie nach den Plastiktüten und stopfte ihre Klamotten hinein. Ich ging ihr zur Hilfe.
»Wenn du dich beeilst, erwischt du noch den Bus, der in fünf Minuten fährt.«
»Das schaff ich! Das muss ich schaffen!« Eilig drückte sie mir einen Kuss auf die Wange und packte sich die Tüten unter den Arm. »Danke für deine Unterstützung. Ich revanchier mich demnächst«, versprach sie und stürmte auch schon auf die Tür zu.
»Nicht der Rede wert. Ich drück dir die Daumen wegen Sebastian.«
»Das kann ich gebrauchen«, sagte sie, winkte mir noch einmal zu und verschwand. Die Stille, die daraufhin auf einmal im Raum herrschte, umgab mich wie ein wohlig warmes Bad. Ich seufzte und ließ mich erschöpft auf mein Bett fallen. In mancher Hinsicht würde ich Alex wohl nie verstehen. Ich war vermutlich der schlechteste Ansprechpartner, den sie in Modefragen hätte wählen können. Mir fehlte einfach jegliches Verständnis für dieses Gebiet. Klamotten gab es eben, damit man nicht nackt herumlief – warum musste man so ein riesen Theater darum machen? Klar suchte auch ich mir Kleidungsstücke heraus, die mir gefielen, das war es dann allerdings auch schon. Probleme wie »Kommen meine Brüste in diesem Oberteil gut zur Geltung?« oder »Passen die Schuhe zu meinem Lippenstift?« , hatte ich nie gehabt und würde ich auch niemals bekommen.
Ich war einfach der Meinung, dass im Leben wesentlich wichtigere Dinge existierten. Und alle, die behaupteten, sie würden es nicht für andere, sondern nur für sich selbst tun, waren in meinen Augen die größten Heuchler. Wäre man der einzige Mensch auf dieser Welt, würde man wahrscheinlich sehr wenig darauf geben, ob die verdammten Schuhe zu dem verdammten Lippenstift passten oder nicht! Und tat man es, nur um Männern zu gefallen, dann fand ich es fast schon erbärmlich. Wobei Alex‘ Gegenargumentation zugegebenerweise auch nicht komplett von der Hand zu weisen war: » Männer wissen nicht, was sie wollen, deswegen musst du ihnen verklickern, dass sie dich wollen. Und da das männliche Wesen an sich und allein schon von der Evolution her doch relativ triebgesteuert ist, zeigt man es ihm am besten durch die Reize, die man zu bieten hat.«
Wo sich aber bei mir natürlich die Frage stellte: »Welche Reize?«
Davon jedoch abgesehen war ich der Ansicht, dass sich jeder aufbrezeln konnte. Die wahre Kunst dagegen war es, jemanden zu finden, der einen so nahm wie man war. Sollte sich so einer aber nicht finden lassen, dann trug ich lieber die Konsequenzen und blieb allein.
Luca schien jedenfalls keine Probleme mit meinem unauffälligen Klamotten-Stil zu haben und … Elyas auch nicht.
Verdammt, schon wieder dieser Name.
So rasch, wie er in meinem Kopf aufgeblitzt war, versuchte ich ihn wieder zu verbannen. Meine Gedanken drehten sich in letzter Zeit ohnehin viel zu oft um diesen Blödmann. Ich musste dagegen ansteuern. Und mein Buch sollte mir bei der Verdrängung behilflich sein. Ich griff danach, legte mich bäuchlings aufs Bett und machte mich an die Arbeit. Es war eine Novelle von Theodor Strom , »Der Schimmelreiter«, und ich erlaubte mir keine einzige Pause, bis ich die Hälfte des Buches geschafft hatte. Ich war stolz auf mein Durchhalten. Bis ich für einen Moment erschöpft die Augen schloss, denn als ich sie wieder öffnete, fiel mein Blick auf meine inzwischen gut verheilte Hand …
Jedes Mal, wenn ich Elyas seit jenem Vorfall über den Weg gelaufen war, hatte er sich die Verletzung ansehen wollen. Ich konnte nicht behaupten, dass mich das begeisterte. Genauer gesagt, war es mir sogar äußerst unangenehm. Dennoch ließ sich leider nicht leugnen, dass er sich offenbar ernsthaft für den guten Verlauf der Wundheilung interessierte.
Aber müsste ihm das nicht eigentlich egal sein?
Und warum war es ihm dann nicht egal?
Schwerfällig atmete ich aus.
»Ach und übrigens, du bist absolut mein Typ.«
Nein! Das war ich eben
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