Kirschroter Sommer (German Edition)
bewegte und meine Gedanken in diese Richtungen sprühten, desto mehr wurde ich von der Ungewissheit nahezu aufgefressen. Vor Taubheit war ich wie gelähmt, während ich fortlaufend versuchte, das Unmögliche zu begreifen. Ich fühlte mich wie gefangen in diesem kleinen Raum, als würden die Wände mit jedem weiteren Atemzug ein Stück näher kommen und mich irgendwann zerdrücken.
Jede Sekunde fürchtete ich, dass abermals das Telefon klingelte, dass die Schwester anrufen und mir sagen würde, dass nichts mehr zu machen wäre. Dass ich meine Mutter für immer verloren hätte.
Irgendwann vernahm ich auf einmal ein Klopfen. Erst dachte ich, es mir nur eingebildet zu haben, aber als ich den Kopf hob, bemerkte ich, dass das Geräusch tatsächlich existierte.
Alex, dachte ich sofort. Natürlich, inzwischen war sie bestimmt zu Hause eingetroffen und hatte sich nach dem Abhören des Anrufbeantworters sicher gleich auf den Weg gemacht. Ich stemmte mich mit den Händen gleichzeitig an Boden und Wand ab und hievte mich nach oben. Meine Knie fühlten sich noch weicher an als zuvor, trotzdem rannte ich zur Tür. In Gedanken sah ich schon die kleine Alex vor mir stehen und spürte, wie sie mich in den Arm nahm und auffing. Doch als ich die Tür öffnete, löste sich jegliche Illusion innerhalb eines Wimpernschlages in Rauch auf. Es war nicht Alex, die vor mir stand, sondern jemand, mit dem ich niemals gerechnet hätte.
»Bitte, Elyas … Ich habe jetzt wirklich keinen Nerv für dich …«, stammelte ich und wollte die Tür schon wieder schließen. Doch Elyas hielt dagegen, und weil mein Körper nicht mal im Ansatz die nötige Kraft aufbringen konnte, musste ich machtlos mit ansehen, wie er sich ins Zimmer schob.
»Emely«, sagte er und sah mir in die Augen, »ich bin nicht hier, um dich zu nerven. Ganz im Gegenteil. Ich habe deine Nachricht auf dem AB gehört, und weil Alex noch nicht da war, bin ich gekommen. Erzähl mir, was passiert ist.«
»Ich weiß es nicht …«, sagte ich, schüttelte immer wieder den Kopf und war einfach nicht fähig, ihn wieder wegzuschicken.
»Du zitterst ja und bist … ganz blass.«
»Ich …Vielleicht … Was …«
»Setz dich erst mal«, sagte Elyas und schlang seine Finger um meine Handgelenke. Er brachte mich zum Bett, sorgte dafür, dass ich mich an den Rand setzte und ging anschließend vor mir in die Hocke. »Also, was ist passiert, Emely? Deinen Eltern hatten einen Unfall?«
Mein Kopf nickte einfach.
»Hast du einen Anruf aus dem Krankenhaus bekommen oder woher weißt du davon?«
Abermals und wie ferngesteuert nickte ich.
»Und was haben sie gesagt?«
»Dass …. Dass es einen Autounfall gab …«, antwortete ich. »Aber ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte. Mein Vater fährt nie zu schnell, nie.«
Er sah mich eine Weile an, dann versuchte er zu lächeln. »Er ist also nicht so einer wie ich, hm?«
Nein, mein Vater war genau das Gegenteil von ihm.
»Gut, erzähl mir, was sie dir am Telefon gesagt haben.«
»Mein Dad … Er hat sich das Bein gebrochen, aber meine Mom …« Ich brach ab und schüttelte den Kopf.
»Was ist mit deiner Mutter?«, fragte er.
»Ich weiß nicht …«, zuckte ich mit den Schultern und spürte, dass sich Flüssigkeit in meinen Augen bildete. »Sie wird operiert … weil … weil sie innere Verletzungen hat … Sie konnten mir nichts Genaueres sagen …« Ich versuchte das aufkommende Schluchzen zu unterdrücken. »Innere Verletzungen sind sehr schlimm, Elyas, oder?«
Er blickte für einen Moment zu Boden, ehe er wieder meine Augen suchte. »Das kommt ganz darauf an.«
»Sie wird es nicht überleben, oder?« Mein Zittern verstärkte sich, und Elyas fasste nach meinen Händen, um sie zwischen seine zu nehmen.
»Jetzt nicht den Teufel an die Wand malen, Emely«, sagte er. »Nur weil sie innere Verletzungen hat, muss sie noch lange nicht sterben.«
Sterben . Er hatte das Wort »sterben« ausgesprochen. Meine Umgebung begann unter meinem feuchten Blick immer mehr zu verschwimmen.
»Du weißt doch überhaupt nicht, wie schwer ihre Verletzungen sind«, meinte er leise und streichelte meine Hand. »Und wenn Carla nur halb so dickköpfig ist wie du, dann wird sie das durchstehen.«
Ich wusste nicht weshalb, aber in diesem Moment brach auf einmal alles in mir zusammen. Aus einer Träne wurde ein ganzer Strom, und als ich mir dessen bewusst wurde, entzog ich ihm meine Hände und verbarg verzweifelt mein Gesicht darin.
»Süße …«, hauchte
Weitere Kostenlose Bücher