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Kirschroter Sommer (German Edition)

Kirschroter Sommer (German Edition)

Titel: Kirschroter Sommer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carina Bartsch
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nicht leicht gefallen, mich in dieser Umgebung wieder einzugewöhnen, und ich wusste auch gar nicht, ob ich das überhaupt wollte. Früher, als ich noch hier gelebt hatte, war ich oftmals von dem Gefühl umgeben worden, dass ich auf der Stelle trat, dass überall auf der Welt das Leben stattfand, nur nicht hier. Deswegen war mir schon als Kind klar gewesen, dass ich so bald wie möglich wegziehen würde. Und das hatte ich mit neunzehn Jahren auch getan.
    Mittlerweile vermisste ich mein Leben in Berlin sehr. Dennoch war ich froh, hier zu sein und meinen Eltern unter die Arme greifen zu können. Die Rolle der Krankenschwester war mir zwar nicht unbedingt auf den Leib geschneidert – schließlich war sonst meist ich diejenige, die eine benötigte – aber ich gab mein Bestes.
    Karsten war schon fünf Tage nach dem Unfall aus dem Krankenhaus entlassen worden. Wahrscheinlich wäre er verwahrlost, wenn ich mich nicht um ihn gekümmert hätte. Mein Vater war es nicht gewohnt, für sich selbst zu sorgen, und mit einem Gipsfuß schon gleich zweimal nicht. Er war zwar ein sehr anstrengender, aber dafür ein mindestens genauso liebenswürdiger Patient, und so machte es mir sogar Freude ihn zu pflegen.
    Meine Mutter dagegen war erst vor einer Woche entlassen worden. Bis dahin hatte ich sie jeden Tag im Klinikum besucht. Das war auch nötig gewesen, denn bereits drei Tage nach dem Unfall war sie dort kaum noch zu halten gewesen. Es hatte ganze Bücher an gutem Zureden bedurft, dass sie nicht auf eigene Faust nach Hause aufgebrochen war.
    Als sie dann endlich ihr Gefängnis, wie sie es selbst bezeichnete, verlassen durfte, lautete Ingos Anweisung, dass sie sich schonen sollte. Aber den Begriff »schonen« hatte meine Mom genauso wenig in ihrem Wortschatz wie »Single«. Bereits am ersten Tag nach ihrer Entlassung hatte ich mit ihr einen hitzigen Kampf um den Staubsauger gehabt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich es für unmöglich gehalten, dass man sich mit Fingernägeln in ein Metallrohr krallen konnte, doch meine Mutter belehrte mich eines besseren …
    Seit diesem Vorfall war ich von morgens bis abends damit beschäftigt, alle Arbeiten, die in einem Haushalt anfielen, vor ihr zu entdecken. Egal was man sagte, sie konnte ihre Füße einfach nicht still halten. Ich hatte Ingo sogar schon nach Fixierbändern gefragt, wie man sie für Patienten benutzte, die eine Gefahr für sich selbst oder das Personal darstellten. Aber er hatte nur gelächelt, als hätte ich einen Scherz gemacht – dabei war das mein voller Ernst gewesen!
    Trotz aller Strapazen fand ich es schön, auf diesem Weg wieder mehr Zeit mit meinen Eltern verbringen zu können. Der Unfall hatte mir verdeutlicht, wie wenig man eigentlich davon besaß.
    Wenn ich nicht gerade meine Mutter vom Arbeiten abhielt oder Karsten davon überzeugen musste, dass man mit einem Gipsfuß nicht in ein wackeliges Ruderboot steigen und angeln konnte, versuchte ich zu lernen. Schließlich machte die Uni in meiner Abwesenheit keine Pause und es staute sich täglich mehr Stoff an, den ich dort versäumte. Alex hatte eine Freistellung von vier Wochen für mich bewirkt und mir zusätzlich meine Unterlagen auf dem Postweg zukommen lassen. Somit war ich bestens ausgerüstet. Sollte ich trotzdem am Semesterende durch die Prüfungen rauschen, dann musste ich sie eben wiederholen. Meine Eltern waren jetzt einfach wichtiger.
    In meinen wenigen freien Minuten traf ich mich mit Alena und Ingo. Wenn ich schon die seltene Gelegenheit hatte, für einen Besuch nur ein paar Straßen weiter zu müssen, dann wollte ich das auf jeden Fall nutzen.
    Alex bekam ich derzeit zwar nicht zu Gesicht, dafür beglückte sie mich mindestens einmal täglich mit ihren Anrufen. Es war mehr als erstaunlich, was sie innerhalb dieser kurzen Zeitspanne wieder alles zu berichten hatte. Ihr Hauptthema – wie sollte es auch anders sein – war natürlich Sebastian. Nachdem wir alle den Schock mit dem Autounfall einigermaßen verdaut hatten, hatte Alex schon bald ein neues Problem erkoren: Sebastian küsste sie nicht – welch Tragik!
    Obwohl sich die beiden nun schon seit drei Wochen regelmäßig ohne Elyas‘ Beisein trafen und sich blendend verstanden, war außer freundschaftlichen Berührungen noch rein gar nichts zwischen ihnen gelaufen. Mit anderen Worten: Alex befand sich in der schrecklichsten Nervenkrise ihres Lebens. Und das war für einen Außenstehenden bei weitem keine schöne Angelegenheit, im Gegenteil, es grenzte

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