Kirschroter Sommer (German Edition)
Rücken schmerzte und Helligkeit drang durch meine Lider. Irgendetwas strich mir über die Haare, ganz schwach und kaum spürbar. Ich blinzelte und erkannte zunächst nur Weißes vor mir. Die Zudecke meiner Mutter … Offenbar war ich mit dem Kopf auf ihrem Bett eingeschlafen. Ich fuhr mir durchs Gesicht und rieb mir die Augen, bis ich mir plötzlich der Berührung auf meinem Kopf bewusster wurde. Ich schreckte nach oben und blickte direkt in die braunen Augen meiner Mutter. Sie war wach. Sie war tatsächlich wach.
»Mama«, brach es aus mir heraus. Ich griff nach ihrer anderen Hand und spürte, wie meine Augen feucht wurden. »Wie geht’s dir?«, fragte ich. Sie sah immer noch genauso furchtbar aus wie am Abend zuvor.
»Ich denke, ganz gut …«, flüsterte sie unter großer Anstrengung. »Das Schmerzmittel, das sie hier haben, ist nicht das Schlechteste …«
Ich strahlte, während sich eine Träne den Weg über meine Wange bahnte. Ich schniefte und wischte sie weg. »Karsten geht es gut, du musst dir keine Sorgen machen«, sagte ich.
»Ich weiß«, antwortete sie. »Ingo war vor zehn Minuten hier.«
Ich konnte nichts anders tun als sie anzusehen und zu lächeln. Sie lebte. Sie würde bei mir bleiben. Und auch wenn es, wie Ingo gesagt hatte, noch eine Weile dauern würde, bis sie vollkommen fit wäre, so würde sie trotzdem wieder ganz gesund werden. Das war die Hauptsache. Alles andere spielte keine Rolle. Meine Mutter war eine Kämpferin, sie würde das schaffen.
Ich drückte ihre Hand. »Ich hatte so große Angst um dich.«
»Du glaubst doch nicht …«, flüsterte sie, »dass ich vor deiner Hochzeit den Löffel abgebe.«
Augenblicklich kullerte die nächste Träne meine Wange hinab und traf auf meine Lippen. »Du bist unmöglich, Mama.« Ich hangelte mich nach oben und musste sie einfach in den Arm nehmen. Ihre schwache Hand legte sich auf meinen Rücken und ein leichtes »Au« entfuhr ihrem Mund. »Oh Gott, Entschuldigung«, sagte ich und richtete mich auf, doch sie winkte ab. »Nicht so schlimm.«
Trotzdem hielt ich eine weitere Umarmung für keine gute Idee und setzte mich wieder auf den Stuhl. Kaum saß ich, öffnete sich die Tür und Ingo kam herein. Wie lange der Arme wohl schon auf den Beinen war? Zu lange, war die unausgesprochene Antwort, die mir seine Augenringe gaben.
Er trat ans Bett. »Ich wollte mich nur verabschieden«, sagte er. »Sobald ich ein bisschen geschlafen habe, komme ich wieder her.«
»Schlaf nicht ein bisschen , schlaf dich richtig aus«, entgegnete ich.
Er lächelte. »Ist das ein Befehl von oben?«
»Von ganz oben«, bestätigte ich.
»Na, dem muss ich mich dann wohl beugen.«
»Und wehe wenn nicht«, sagte ich und stieß dabei mit dem Fuß gegen einen Gegenstand. Ich sah zu Boden und entdeckte meine Reisetasche. Mit gerunzelter Stirn versuchte ich mich zu entsinnen, ob ich beim Aussteigen daran gedacht hatte, sie aus dem Kofferraum zu laden. Aber nein, Ingo und ich waren direkt in die Klinik gegangen. Demnach müsste sich die Tasche eigentlich immer noch in Elyas‘ Wagen befinden. Doch wie war sie hierher gekommen, wenn Ingo noch nicht zuhause gewesen war?
Ich fand keine Erklärung, und als ich meinen Blick weiter durch den Raum schweifen ließ, fiel mir auf einmal ein bunter Strauß Blumen ins Auge, der in einer Vase auf dem Nachttisch stand. »Hast du einen Verehrer?«, fragte ich meine Mutter zwinkernd. Doch Ingo kam ihr zuvor. »Die sind von Elyas. Er war kurz hier, bevor er zurück nach Berlin gefahren ist.«
Elyas war hier gewesen?
Vielleicht sollte mich das nach der gestrigen Nacht nicht wundern, trotzdem tat es das. Er hatte sogar an Blumen gedacht und der Strauß sah bei weitem nicht wie einer aus, den man für fünf Euro an der Tankstelle kaufen konnte.
Wenn man Elyas eins lassen musste, dann dass er immer wieder für Überraschungen gut war. Zu gerne hätte ich die Gelegenheit genutzt, mich im Nachhinein bei ihm zu bedanken, aber er musste hier gewesen sein, als ich noch geschlafen hatte.
Ingo betrachtete mich und begann schließlich zu schmunzeln. Offensichtlich stand mir meine Verwirrung deutlich ins Gesicht geschrieben. »Ja, man glaubt es kaum, aber mein Sohn hat durchaus seine netten Seiten.«
»Anscheinend«, sagte ich. Noch vor einem Tag hätte ich das niemandem geglaubt.
»Du kannst jetzt übrigens zu Karsten, wenn du möchtest«, fuhr Ingo fort. »Er wurde bereits verlegt und wartet sehnsüchtig auf seine Tochter.«
Ich blickte zu
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