Kirschroter Sommer (German Edition)
verwegenes Grinsen, als er den mittleren Teil verfasst hatte, nahezu vor mir gesehen. Und obwohl es sich nur um eine SMS handelte, hatte ich mich darüber geärgert und ihm ein »Blödmann« an den Kopf geworfen.
Seitdem jedoch ließ er kein Sterbenswörtchen mehr von sich hören, und egal wie man es drehte und wendete, es blieb mysteriös.
Jemand anderes hingegen konnte sich in den letzten drei Wochen anscheinend nicht oft genug bei mir melden. Jemand, auf den es wesentlich mehr Sinn machte, sich zu konzentrieren. Luca.
Als sein Name in meinem Kopf aufblitzte, musste ich unweigerlich lächeln und schon im nächsten Moment schwang ich die Beine aus dem Bett und lief zu meinem alten PC.
Ich hatte Luca inzwischen alles über den Unfall erzählt und war froh, mit irgendwem darüber reden zu können. Alex war so sehr von ihrem eigenen Problem eingenommen, dass diesbezüglich nicht viel mit ihr anzufangen war. Außerdem musste ich feststellen, dass es via E-Mail wesentlich leichter war, über Gefühle zu sprechen. Vor einem Bildschirm zu sitzen, seinem Gegenüber nicht in die Augen sehen zu müssen, ließ Worte und Sätze aus mir fließen, die ich im normalen Leben mit hoher Wahrscheinlichkeit für mich behalten hätte.
Es lag gut dreißig Minuten zurück, dass ich zum letzten Mal mein Postfach überprüft hatte. Demnach war meine Erwartungshaltung hoch. Was mich allerdings nervte, war die lange Wartezeit, bis der Computer endlich eine Verbindung zum Internet hergestellt hatte. Ich war mir sicher, dass man in Neustadt DSL für eine neue Designerdroge hielt.
Als ich schon überlegte, zwischenzeitlich die Fenster zu putzen, wurde ich schließlich erlöst. Und es stellte sich heraus, dass sich jede einzelne Sekunde des Wartens gelohnt hatte.
Liebe Emely,
wie geht’s dir? Hältst du es noch aus in Neustadt?
Ich kann dir nur sagen, dass Berlin ziemlich an Glanz verloren hat, seitdem du nicht mehr hier bist.
Ob ich dich verstehen kann? Vermutlich besser, als du dir vorstellen kannst, liebe Emely. Schon als du geschrieben hast, dein Blickwinkel habe sich verändert, hätte es eigentlich kein weiteres Wort der Erklärung bedurft. Innerhalb einer Sekunde kann das Leben vorbei sein. Ohne Vorwarnung, ohne die Chance, noch irgendetwas zu erledigen, was einem wichtig gewesen wäre – einfach vorbei. Doch das verdrängt man so lange, bis es bei einem Menschen passiert, den man liebt.
Erst dann lernt man, die Kleinigkeiten wertzuschätzen. Man begreift, was wirklich wichtig ist im Leben, und vor allem, wer wirklich wichtig ist im Leben. Manchmal treiben einen nervige Charaktereigenschaften in den Wahnsinn, aber sobald die Person auf einmal nicht mehr da ist, werden genau das die Dinge sein, die einem furchtbar fehlen werden. Viel zu oft regt man sich über Belanglosigkeiten auf und verliert dabei aus den Augen, worauf es stattdessen ankommt.
Emely, du kannst sehr froh sein, dass du diesen Blickwinkel bekommen hast und trotzdem alles gut ausgegangen ist. Denn in den meisten Fällen begreift man es erst, wenn es bereits zu spät ist.
Zu deiner anderen Frage: Du möchtest wissen, warum ich dich noch nie nach einem Treffen gefragt habe?
Ich weiß nicht – warum hast du mich noch nie nach einem Treffen gefragt?
Okay, das war eine Gegenfrage …
Lass es mich so ausdrücken … Ich habe ein bisschen Angst davor, deiner Vorstellung nicht zu entsprechen.
Ich wünsche dir noch einen wunderschönen Abend und hoffe, bald wieder von dir zu hören.
Liebe Grüße
Luca
Ich war nahezu in seinen Worten versunken gewesen. Diese Mail war so wunderschön wie alle von ihm. Doch gegen Ende hatte mich ein Satz aufwachen lassen. » Ich habe ein bisschen Angst davor, deiner Vorstellung nicht zu entsprechen.«
Ich hatte mit meiner Vermutung also richtig gelegen. Aber wovor fürchtete er sich? Stimmte mein Verdacht und er war wirklich ein Computerwurm?
Aber selbst wenn … Ich seufzte. Zumindest wäre er dann der süßeste Computerwurm, den es gab. Wusste er denn nicht, dass er eigentlich schon längst bei mir gewonnen hatte? Immerhin war er der einzige Mensch, mit dem ich trotz schwülstiger Komplimente weiterhin sprach. Und das wollte wohlgemerkt etwas heißen!
Vielleicht sollte ich Luca einfach schreiben, dass, gleichgültig wer oder was er war, ihm längst ein Platz in meinem Herzen gehörte?
Ja, genau das würde ich tun. Ich richtete mich auf und wollte mich gerade an die Antwort machen, als auf einmal Karstens Stimme durchs Haus
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