Kiss and kill: Thriller (German Edition)
war nicht sicher, ob er wusste, dass sie es bemerkt hatte, oder nicht. Je weniger er darüber wusste, was sie dachte oder fühlte, umso besser.
Als er ihr die Fußschellen abnahm, trat sie mehrmals auf der Stelle. Dann packte er ihre Handgelenke, schloss die Handschellen auf, zog sie ab und warf sie zu den Fußfesseln auf die Erde.
Sie sah ihn an und fragte sich, was er vorhatte.
»Heute ändern wir die Regeln und damit unser Spiel«, erklärte er.
Sie nickte.
»Du bist frei, durch nichts gebunden und ohne Peilsender, mit dem ich dich am Ende der Jagd finden kann, um dich nach Hause zu bringen.«
»Ich verstehe nicht.«
»Ich lasse dich laufen, Nicole.«
Sie starrte ihn an, denn sie wusste, dass da noch mehr war. Er würde sie nie freiwillig laufen lassen. Das hier war bloß ein Teil des Spiels.
Er lächelte. »Du darfst frei herumlaufen, Essen, Wasser und Unterschlupf finden. Ich jage dich heute, aber wenn ich dich nicht finde, erlaube ich dir, die Nacht im Wald zu verbringen, allein, nicht in einem Käfig, nicht angekettet. Das wiederholen wir von jetzt ab jeden Tag, bis du entweder entkommst oder ich dich am letzten Tag töte.«
»Tag einundzwanzig«, sagte sie.
»Ich gebe dir nur zehn Minuten Vorsprung, also lauf lieber los.« Er blickte auf seine Uhr. »Los! Jetzt!«
Nic rannte. Und rannte. Und rannte.
Sobald sie wusste, dass sie weit genug im Wald war, um nicht von ihm gesehen zu werden, kehrte sie um und wanderte im weiten Bogen zurück, wobei sie aufpasste, dass er sie nicht entdeckte und ihr Manöver durchschaute. Als sie sicher war, dass er tiefer im Wald war, überquerte sie die weiten Felder nach Norden, weg von dem bewaldeten Gebiet, in dem er sie freigelassen hatte.
Nic war klar, dass er sie keineswegs laufen ließ oder ihr gar eine Chance zur Flucht gab. Es war schlicht eine neue Wendung des Spiels, deshalb durfte sie sich aber nicht in falscher Hoffnung wiegen. Das war es nämlich, was er wollte.
Am allerwichtigsten für sie war, nicht in Panik zu geraten. Jeden Morgen erinnerte sie sich daran. Sie durfte auf keinen Fall dem Drang nachgeben, blindlings loszurennen, denn damit riskierte sie nicht bloß einen Unfall, sondern es trübte auch ihr Urteilsvermögen und würde sie wertvolle Kraft kosten. Wenn sie überleben wollte, musste sie ihre Angst unter Kontrolle halten.
Sie glaubte keine Minute lang, dass er sie nicht aufspüren könnte. Dann würde dieser letzte Abschnitt des Spiels keinen Sinn ergeben. Ihm war zweifellos klar, dass sie durchaus imstande war, hier draußen zu überleben, und dass sie es auch schaffen könnte, ihm zu entkommen.
Sie hatte das ungute Gefühl, dass sie etwas wusste, aber keine Ahnung hatte, was es war. Zunächst einmal musste Nic überlegen, was sie tun sollte. Sie brauchte Nahrung, Wasser und, wenn möglich, einen Unterschlupf, denn nachts kühlte es jetzt schon empfindlich ab. Während sie weiterlief, dachte sie nach. Falls er nicht schon gemerkt hatte, dass sie ihn hereingelegt hatte, würde er es sicher bald entdecken, und das dürfte ihn ziemlich wütend machen.
Eine Stunde später machte Nic eine kurze Verschnaufpause. Durstig und außer Atem hockte sie sich unter einen Baum mit tiefhängenden Ästen, der sich in einem dichten Waldstück befand. Sie kratzte sich den juckenden Rücken am Baumstamm. Lange konnte sie hier nicht bleiben. Sie musste weiter. Während sie aufstand, versuchte sie, die Stelle an ihrem Rücken zu erreichen, die sich leicht wund anfühlte und jetzt juckte, aber über die Schulter kam sie dort nicht ran. Andersherum gelangte sie auch nur bis auf wenige Zentimeter heran und kratzte. Nahe, aber nicht nahe genug. Als sie den Arm wieder herunternahm, fühlte sie etwas Feuchtes an den Fingerspitzen. Sie sah auf ihre Hand. Da waren rote Flecken. Verdammt, sie blutete. Anscheinend hatte sie ihren Rücken zu heftig am Baumstamm gerieben.
Stunde um Stunde wanderte Nic durch den Wald, über einen Bach, über feuchtes Sumpfgebiet und wieder zurück in den Wald. Ein einziges Mal nur sah sie etwas, das entfernt einem Weg ähnelte. Sie war über einen eingeknickten Stacheldrahtzaun geklettert und auf einen Feldweg gekommen, der seit Jahren nicht mehr benutzt worden und von Unkraut und Gras überwuchert war. Diesem Weg folgte sie in die entgegengesetzte Richtung des Hauses – in der unsinnigen Hoffnung, er könnte sie zu einem Fluchtweg führen.
Griff wusste, dass die anderen sich Sorgen um ihn machten, weil er sehr wenig schlief, mehr
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