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Kissed by an Angel

Kissed by an Angel

Titel: Kissed by an Angel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Chandler
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Ivy nachvollziehen konnte, dass Gregory sich abreagieren musste, obwohl sie wusste, wie hart es für ihn seit dem Tod seiner Mutter war, kochte sie mit jeder Minute innerlich mehr. Dann ebbte ihre Wut allmählich ab und wich einem schleichenden Angstgefühl.
    Der Fluss war nicht mehr weit weg, sie konnte hören, wie er über die Felsen schäumte. Nachdem sich ihre Augen an die ländliche Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte sie die Oberleitungen der Bahnlinie. Ihr fiel wieder ein, warum Jugendliche hierherkamen: für Mutproben - wer es am längsten auf der Eisenbahnbrücke aushielt. In Ivy sträubte sich alles, hinter Gregory herzulaufen, der sie im Gänsemarsch zu den Brücken führte. Aber sie konnte Suzanne, die an Gregorys Fersen klebte, in diesem Zustand nicht allein lassen.
    Eric drängte sie alle vorwärts und wiederholte mit schriller, unheimlicher Stimme: »Wer ist cool genug? Cool, cool, cool...«
    Unter ihren Füßen kullerten kleine runde Steine. Eric und Suzanne stolperten ständig über die schmalen Eisenbahnschwellen. Zu sechst liefen sie durch die Allee, die schnurgerade zwischen den Bäumen hindurchführte und durch die alle Züge, die zwischen New York City und den nördlicher gelegenen Städten verkehrten, entlangbrausten.
    Die Allee wurde breiter und Ivy sah die beiden nebeneinanderliegenden Brücken, die neue hatte man ungefähr zwei Meter neben der alten gebaut. Zwei glänzende Stahlschienen deuteten an, wo die neue Brücke verlief. Es gab weder ein Geländer noch einen Zaun. Die Brückenbögen spannten sich wie ein dunkles, unheimliches Spinnennetz über den Fluss.
    Die ältere Brücke war in der Mitte eingestürzt. Die beiden verbleibenden Teilstücke streckten sich vom Ufer wie zwei Hände einander entgegen, Finger aus Metall und fauligem Holz griffen nach einander, erreichten sich aber nicht. Tief unter den Brücken rauschte und zischte das Wasser.
    »Folgt dem Anführer, folgt dem Anführer«, rief Eric und tänzelte vor ihnen her. Er stolperte auf die neuere Brücke zu.
    Ivy schob zwei Finger durch Suzannes Rockschlaufen. »Du bleibst hier.«
    »Lass mich los«, fuhr Suzanne sie an.
    Suzanne versuchte, Eric auf die Brücke zu folgen, aber Ivy hielt sie zurück.
    »Lass los!«
    Sie kämpften einen Moment und Gregory beobachtete sie amüsiert. Dann riss sich Suzanne von Ivy los. Verzweifelt streckte Ivy die Hand nach ihr aus und bekam Suzannes nacktes Bein zu fassen, die daraufhin über die Schiene stolperte und vom Gleisbett ins Gebüsch rollte. Suzanne versuchte dann, sich aufzurichten, schaffte es aber nicht. Sie ließ sich wieder zurücksinken und sah Ivy mit geballten Fäusten wütend an.
    »Beth, kannst du mal nachschauen, ob alles mit ihr in Ordnung ist?«, fragte Ivy und konzentrierte sich wieder auf Eric. Er war ungefähr fünf Meter weit auf die Brücke gelaufen und balancierte über dem Wasser. Sein zu dünner Körper schwankte wie ein tanzendes Skelett über das Gleis.
    »Wer ist cool genug. Cool genug ...«, zog er die anderen auf. »Schaut euch an: Schisser, Schisser, Schisser!«
    Gregory lehnte an einem Baum und lachte. Will beobachtete ihn mit versteinerter Miene.
    Als das Pfeifen des Zuges von der anderen Seite des Fusses zu hören war, drehten alle die Köpfe.
    Es war das Pfeifen des Nachtzugs, das Ivy so oft von ihrem Haus oben auf dem Berg gehört hatte, ein Geräusch, das sich jede Nacht wie ein Band um ihr Herz wickelte, als wolle der Zug sie fortreißen.
    »Eric!«, brüllten Ivy und Will gleichzeitig. Beth hielt Suzanne fest, die über dem Gebüsch hing und sich erbrach.
    »Eric!«
    Will rannte ihm hinterher, aber Eric torkelte wie ein Irrer über die Gleise.
    Das überlebt keiner von beiden, dachte Ivy. »Will, komm zurück! Will! Du schaffst es nicht!«
    Der Zug steuerte auf die Brücke zu, seine hellen Augen drängten die Nacht zurück und verwandelten die beiden Jungs in hauchdünne Silhouetten. Ivy sah, wie Eric am Rand der Brücke torkelte. Tief unter ihm waren Wasser und Felsen.
    Er will auf die alte Brücke springen, dachte sie. Das wird er nie schaffen.
    Engel, helft uns!, betete sie. Wasserengel, wo bist du? Tony? Ich bitte dich!
    Eric bückte sich, dann kippte er plötzlich über den Rand.
    Ivy und Beth schrien. Sie konnten gar nicht mehr aufhören.
    Will rannte jetzt stolpernd zurück. Der Zug wurde nicht langsamer. Er war riesig und dunkel. Er war gewaltig wie die Nacht und stürzte mit seinen hellen, blinden Augen auf ihn zu. Sechs Meter, vier Meter -

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