Kissed by an Angel
Dann wurde ihre deutlich hörbare Stimme schwächer. »Ich bin gleich wieder da.«
Ihr Schatten verschwand. Dann verschwand auch sie. Vollständig.
»Lacey?«, Tristan wirbelte herum. »Lacey, wo bist du? Ist alles in Ordnung?«
»Bin bloß müde.« Ihre Stimme klang schwach. Ihr Körper wurde wieder sichtbar, aber er war fast durchscheinend. Sie lag zusammengerollt auf dem Boden. »Gib mir ein paar Minuten.«
Tristan ging auf und ab und betrachtete sie besorgt.
Plötzlich sprang sie auf und war wieder die Alte. »So ist das nun mal«, erklärte sie. »Übergangsengel - also du und ich, Schätzchen - brauchen ihre gesamte Energie und einen ganzen Haufen Erfahrung, um vollständig Gestalt anzunehmen. Um dann noch gleichzeitig zu sprechen - dazu muss man wirklich Profi sein.«
»Damit meinst du dich«, stellte er fest.
»Normalerweise lasse ich nur einen Teil von mir Gestalt annehmen, beispielsweise meine Finger, wenn ich etwas machen will - jemanden an den Haaren ziehen oder die Zeitung zu den Filmkritiken vorblättern.«
»Bring es mir bei!«, bat Tristan sie inständig. »Zeigst du mir, wie es geht?«
»Vielleicht.«
Sie waren auf das Haus zugelaufen und nun hatten sie die ganze Rückseite im Blick. Tristan sah zu dem Dachfenster von Ivys Musikzimmer hinauf.
»Hier wohnt deine Tussi also«, stellte Lacey fest. »Vermutlich sollte ich es toll finden, dass sich ein Typ wegen eines Mädchens so zum Affen macht.« Lacey verzog angewidert den Mund.
»Ich wüsste nicht, warum du überhaupt eine Meinung dazu haben solltest. Es geht dich schließlich nichts an«, entgegnete Tristan. »Bringst du es mir nun bei?«
»Ach, warum eigentlich nicht. Irgendwie muss ich die Zeit ja totschlagen.«
Sie suchten sich eine stille Ecke zwischen den Bäumen und setzten sich, Ella lief langsam hinter ihnen her. Lacey fing an, die Katze zu streicheln, und Ella belohnte sie mit einem kurzen, freundlichen Schnurren. Als Tristan genauer hinsah, bemerkte er, dass Laceys Fingerspitzen nicht schimmerten. Man konnte sie ziemlich deutlich erkennen.
»Man muss sich nur konzentrieren«, erklärte Lacey. »Richtig konzentrieren. Starr auf deine Fingerspitzen und benutze sie als Mittel, dich zu konzentrieren. Du machst sie durch deinen Willen sichtbar.«
Tristan streckte seine Hand nach Ella aus. Er verbannte alles andere aus seinem Kopf und konzentrierte sich allein auf seine Fingerspitzen. Er spürte ein schwaches Kribbeln, ähnlich wie bei einem eingeschlafenen Arm. Er spürte seine Finger immer intensiver. Dann fing sein Kopf zu kribbeln an, was er unangenehm fand. Ihm wurde schwindlig. Es fühlte sich an, als würde er sich -bis auf die Fingerspitzen - vollständig auflösen. Er machte einen Rückzieher.
Lacey schnalzte mit der Zunge. »Tss, du hast die Nerven verloren.«
»Ich versuch’s noch mal.«
»Ruh dich lieber kurz aus.«
»Nicht nötig.«
Nachdem er sein ganzes Leben stark und schlau gewesen war - immerhin hatte er als Schwimmlehrer und Mathetutor gearbeitet war es demütigend, von diesem neunmalklugen Mädchen über etwas so Simples wie das Streicheln einer Katze belehrt zu werden.
»Scheinbar bin ich hier nicht die Einzige mit einem großen Ego«, stellte Lacey zufrieden fest.
Tristan überhörte die Bemerkung. »Was ist mit mir passiert?«, fragte er.
»Deine gesamte Energie sammelt sich in deinen Fingerspitzen«, erklärte sie ihm, »deshalb fühlte sich alles Mildere an dir schwach an, als ob du dich auflösen würdest oder so.«
Er nickte.
»Keine Bange! Je stärker du wirst, umso weniger ist das ein Problem«, fügte sie hinzu. »Wenn du je den Punkt erreichst, vollständig Gestalt anzunehmen und hörbar zu reden - auch wenn ich das bezweifle -, musst du lernen, aus deiner Umgebung Energie zu ziehen. Ich saug sie einfach aus allem Möglichen raus.«
»Du klingst wie eine Außerirdische aus einem Horror-Seience-Fiction-Film.«
Sie nickte. »Lips of Planet Indigo. Dafür hätte ich beinahe einen Oscar bekommen.«
Komisch, in Tristans Erinnerung war der Film der totale Flop gewesen.
»Willst du es jetzt noch mal versuchen?«
Tristan streckte seine Hand aus. Es war, als würde er seinen Puls spüren, als würde er auf dem Bett liegen und den eigenen Herzschlag hören: Ihm wurde plötzlich bewusst, wie die Energie durch ihn hindurchströmte, und er leitete sie dieses Mal ruhig und lässig in seine Fingerspitzen. Sie verloren ihren Schimmer.
Dann fühlte er sie. Weiches, seidiges, dichtes Fell. Ella
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