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Kite

Kite

Titel: Kite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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trennten mich von dem Geländer des Laufstegs, das um den Wassertank herumführte.
    »Fünf Sekunden.«
    Ich kämpfte mich die letzten paar Stufen hoch und hielt mich am Geländer fest, darauf vertrauend, dass es mein Gewicht aushalten würde – das musste es einfach. Dann wuchtete ich mich auf den Laufsteg, ließ mich auf den Rücken fallen und starrte in den inzwischen dunkel gewordenen Himmel. Der Schweiß lief mir in Strömen über das Gesicht.
    Luther sagte mir etwas ins Ohr, aber ich schnaufte so laut, dass ich ihn nicht hören konnte.
    Nach etwa zwanzig Sekunden sagte ich zu ihm: »Ich hab Sie nicht verstanden.«
    »Ich sagte, Sie haben’s geschafft, Jack. Herzlichen Glückwunsch.«
    Ich rieb mir den Bauch und zog mich an dem dünnen Geländer in eine unbequeme sitzende Stellung hoch, die Beine auseinander. Der Laufsteg war etwas über einen halben Meter breit. Von da, wo ich saß, in etwa dreißig Meter Höhe, hatte ich eine beeindruckende Aussicht über Luthers Betonkönigreich.
    Eine Straßenzeile nach der anderen mit verfallenen Fertighäusern.
    Ein sechsstöckiger Sozialbau, der schon lange leer stand.
    Fabriken und Lagerhallen, so weit das Auge reichte – riesige Ungetüme aus Ziegelsteinen mit Schornsteinen und leeren Parkplätzen, auf denen es früher nur so von Autos gewimmelt hatte. Aber jetzt war da nur noch eine ausufernde Betonwüste.
    Ein Brachland.
    Keinerlei Anzeichen von Industrie oder menschlichem Leben, abgesehen von einer niedrigen Skyline in etwa zwei oder drei Kilometer Entfernung, von der leises Verkehrsrauschen herüberdrang.
    Sie hätte genauso gut tausend Kilometer weit weg sein können. Wo ich jetzt saß, war ich Luther hilflos ausgeliefert.
    »Stehen Sie auf, Jack.«
    Mühsam erhob ich mich. Meine Beine waren schwach und in den Armen verspürte ich ein Kribbeln.
    Plötzlich vernahm ich über mir ein leises mechanisches Summen.
    Ich hob den Kopf und blickte in die Linse einer Kamera.

Luther
    Er streckt die Hand aus und berührt das Gesicht auf dem Bildschirm. Dann sagt er: »Bitte lächeln.«

Jack
    Ich lächelte nicht in die Kamera. Sie hing genau über der Stelle, wo die Leiter auf den Laufsteg traf, und war auf mich gerichtet.
    Unterhalb der Kamera sah ich eine weitere Messingtafel – der einzige Gegenstand auf diesem Turm, der nicht von Rost befallen war.
    ACHTER KREIS: VERRAT 911
    »Glaubte ich, dass meine Antwort wer vernähme,
Der je zur Oberwelt zurückgelangte,
So bliebe unbeweglich diese Flamme.
Weil aber, ist, was man sagte, richtig,
Lebendig niemand diesem Schlund entstiegen,
Kann ohne Furcht der Schmach ich Antwort geben.«
    Inferno, Siebenundzwanzigster Gesang
    Ein Geräusch auf der anderen Seite des Wassertanks ließ mich aufhorchen – es klang, als ob jemand eine Kette über das Metallgitter des Laufstegs zog.
    Woher das Geräusch genau kam, konnte ich nicht erkennen, da der Tank mir die Sicht versperrte.
    Plötzlich zitterte der Laufsteg. Schritte kamen auf mich zu.
    »Was ist das, Luther? Sind Sie hier oben?«
    Er gab mir keine Antwort.
    »Luther?«
    Die Schritte kamen jetzt immer näher. Sie erklangen rechtsvon mir, gleich um die Ecke. Ich trat langsam den Rückzug an und brachte dabei instinktiv die Arme in Abwehrhaltung. Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion brachte mein Adrenalin auf Hochtouren.
    Plötzlich trat eine kleine, drahtige Frau mit silbernen Haaren in mein Blickfeld.
    Sie trug genau wie ich einen Jogginganzug und hielt das größte Klappmesser in der Hand, das ich je gesehen hatte. Halt, das stimmt nicht ganz. Ich hatte dieses Messer schon einmal gesehen. McGlade besaß so eins – ein Cold Steel Espada mit gekrümmter, zweiundzwanzig Zentimeter langer Klinge. Er hatte es tagelang mit sich herumgetragen und den harten Typen raushängen lassen, indem er es wie ein Besessener auf- und zuschnappen ließ. Irgendwann war es ihm dann aus der Hand gerutscht und mit der Klinge in seinem LED-Flachbildfernseher stecken geblieben.
    Luther sagte: »Sie will am Leben bleiben, Jack. Sehr sogar. Ich habe ihr versprochen, dass ich sie laufen lasse, wenn sie die Person tötet, die die Leiter hochklettert. Ich werde mein Wort halten, und sie glaubt mir. Für Sie besteht der einzige Ausweg darin, dass Sie sie zuerst töten.«
    »Das werde ich nicht tun«, sagte ich und trat noch ein paar Schritte zurück.
    »Dann bleiben Sie halt stehen und lassen sich von ihr in Stücke hacken.«
    Die Frau kam immer noch auf mich zu. Ihre Augen hatten etwas Raubtierhaftes. Das

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