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Kite

Kite

Titel: Kite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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bitte Sie, jetzt geht es doch erst richtig los. Sehen Sie diesen Wasserturm hundert Meter weiter?«
    »Ja.«
    »Ich will, dass Sie da raufklettern. Am Fuß des Turms steht eine Leiter.«
    »Kommt überhaupt nicht infrage.«
    Luther hat mit so einer Reaktion gerechnet. Er verlässt den Kontrollraum und geht auf den siebten Kreis zu, wo Phin und Harry warten.
    »Ich kann Sie wohl nicht zwingen. Aber vielleicht lassen Sie sich ja überreden. Wen soll ich zuerst verbrennen, Harry oder Phin?«
    Jack spricht so leise, dass er sie kaum hören kann. »Lassen Sie sie in Ruhe, Luther.«
    »Dann tun Sie, was ich Ihnen sage. Sie können entweder auf den Wasserturm klettern oder dabei zuhören, wie ich die beiden bei lebendigem Leibe verbrenne.«
    Jack sagt einen Moment lang nichts.
    Doch schließlich gibt sie sich geschlagen. »Also gut. Aber tun Sie ihnen nichts.«
    Luther lächelt.
    Es wäre schade gewesen, diesen Trumpf schon so früh zu spielen. Jack wäre mit Sicherheit entsetzt gewesen, wenn sie dabei hätte zuhören müssen, wie ihre Freunde verbrennen.
    Wie viel schlimmer wird es dann erst für sie sein, wenn sie in diesem Kreis der Hölle angekommen ist und dabei
zusehen
muss.

Jack
    Draußen war es zwar kühl, aber eine willkommene Abwechslung zu den eisigen Temperaturen in der Bärenhöhle.
    Plötzlich versperrte mir ein stacheldrahtbewehrter Metallzaun den Zutritt zu dem Gelände, auf dem sich der Wasserturm befand.
    »Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich da drüberklettern kann, Luther? Sie wissen doch, dass ich fast im neunten Monat schwanger bin.«
    »Gehen Sie auf die andere Seite, da hab ich ein Loch reingeschnitten.«
    Ich ging den Zaun entlang und trat dabei immer wieder auf Glasscherben, die unter meinen Tennisschuhen knirschten.
    Als ich endlich an der Stelle ankam, blieb ich stehen. Luther hatte in den Zaun eine etwa eineinhalb Meter hohe und einen Meter breite Öffnung geschnitten. Ich zwängte mich hindurch und legte die letzten paar Meter zum Fuß des Turms zurück.
    Es war ein älteres Bauwerk und sah aus wie ein Raumschiff – ein großer Metallzylinder auf Stelzen mit einem kegelförmigen Dach. Um den Tank verlief eine Plattform mit Laufsteg. Die vier Metallstützpfeiler steckten in einem Betonfundament, von dem bereits Teile abgebröckelt waren. Irgendwie hatte ich eine Wendeltreppe erwartet, aber es gab nur eine schmale Leiter, deren unterste Sprosse sich in Mannshöhe über dem Boden befand. Daran hing eine Strickleiter, die im Wind hin und her schaukelte.
    Ich erstarrte und mein Magen verkrampfte sich.
    »Luther, bitte.«
    »Klettern Sie los.«
    »Ich kann nicht.«
    »Langsam wird es mir langweilig, ständig damit zu drohen, was ich Ihren Freunden antun werde.«
    »Ich kann das nicht.«
    »Wie Sie wollen.«
    »Warten Sie.«
    Er schnaubte. »Entscheiden Sie sich, oder ich …«
    »Geben Sie mir eine Sekunde«, sagte ich.
    Ich ging zur Strickleiter. Als ich mich daran festhielt, dachte ich an eine Geschichte, die ich schon oft gehört hatte. Sie handelte von Frauen in China, die auf den Reisfeldern schufteten, bis sie ihre Kinder zur Welt brachten. Dann hielten sie sich die Neugeborenen an die Brust und machten sich wieder an die Arbeit.
    Wenn die das konnten, warum ich nicht?
    Ich starrte die Leiter hoch und spürte ein Flattern im Bauch. Und plötzlich schoss etwas, das sich wie Strom anfühlte, meine Beine hinunter bis in die Zehenspitzen.
    Mir kam es vor, als ragte die Leiter etwa fünfundzwanzig bis dreißig Meter in den Himmel. In höchstens einer halben Stunde würde die Dunkelheit hereinbrechen. Aus den tief hängenden Wolken, die am Wassertank vorbeizogen, fiel beständiger und kalter Nieselregen. Vielleicht bildete ich mir das nur ein, aber ich hatte den Eindruck, als würde der Turm schaukeln. In meiner Fantasie hörte ich das rostige Metall ächzen.
    »Luther …«
    »Sie haben genau sieben Minuten, um da hochzuklettern, oder ich bringe einen von Ihren Freunden um. Und das Tolle dabei ist, dass Sie sich das Ganze mit anhören müssen. Ihre letzten Augenblicke. Ich habe ein Aufnahmegerät, da können Sie es sich immer wieder anhören.«
    Ich schloss die Augen und versuchte krampfhaft, meinen Herzschlag zu beruhigen. Ich litt unter Höhenangst. Phin hatte mich zu meinem achtunddreißigsten Geburtstag in ein brasilianisches Steakrestaurant namens Brazzaz im Zentrum von Chicago eingeladen. Aber zuvor hatte er mich überredet, mit ihm zur Aussichtsplattform auf dem Willis Tower

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