Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kite

Kite

Titel: Kite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
Vom Netzwerk:
jetzt gehen Sie von ihr weg«, befahl Luther.
    »Sie wird verbluten.«
    »Nein, das wird sie nicht. Das verspreche ich Ihnen.«
    Ich zögerte einen Augenblick, doch dann nahm ich meine Hände von ihrer pulsierenden Wunde und trat ein paar Schritte zurück.
    Zuerst ertönte ein Klicken, dann ein Knall wie ein Pistolenschuss.
    Cynthias Kopf fiel ihr von den Schultern und rollte über den Laufsteg. Von ihrem Halsband – oder vielmehr von dem, was davon übrig geblieben war – stieg Rauch auf.
    »Sprengladung im Halsband«, sagte Luther. »Hat sie auf der Stelle getötet. Ich sagte Ihnen ja, sie wird nicht verbluten.«
    Am liebsten hätte ich laut geschrien und geweint und mich vor Erschöpfung fallen gelassen. Und das alles auf einmal.
    »Sie sollten ihr keine Träne nachweinen, Jack. Immerhin hat sie ihr Bestes versucht, Sie zu töten. Bei ihrer Arbeit ist Cynthia schon immer eine Halsabschneiderin gewesen, nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Ich hätte allerdings nicht erwartet, dass sie es so wörtlich nimmt.
    »Was bezwecken Sie mit Ihrem bizarren Spiel, Luther?«
    »Lassen Sie sich überraschen.«
    »Vielleicht werde ich Sie überraschen, indem ich einfach von diesem Turm springe.«
    »Das werden Sie nicht, Jack. Sie sind eine Kämpfernatur. Und noch habe ich Sie nicht gebrochen.«
    Plötzlich wehte ein ekliger Geruch über mich hinweg. Wie Kloake.
    »Was ist das denn?«, fragte ich.
    Schon jetzt konnte ich sehen, wie eine zähflüssige, schlammige Brühe um die Kurve des Laufstegs herumgekrochen kam. Ein Teil davon tropfte durch das Metallgitter, doch das meiste floss ungehindert weiter, wie glühende Lava.
    »An Ihrer Stelle würde ich schleunigst von dem Turm runter, Jack.«
    »Was ist das für ein Zeug?«
    »Wonach riecht es denn?«
    »Nach Scheiße.«
    »Cynthia war im Grunde ihres Herzens eine Schmeichlerin. Sie hat andere Menschen mithilfe der Sprache manipuliert. Im zweiten Graben des achten Kreises der Hölle in Dantes
Inferno
wurden Schmeichler in menschliche Exkremente getaucht. Genau das wird gleich mit Cynthia passieren. An Ihrer Stelle würde ich jetzt runterklettern.«
    Ich eilte zur Leiter zurück und musste unterwegs der Kloake ausweichen, die aus einem Druckventil strömte und sich über den gesamten Laufsteg ergoss.
    Ich hielt mich am Geländer fest und ließ mich vorsichtig auf die Leiter herab.
    Obwohl ich eine Riesenangst hatte, zögerte ich diesmal nicht. Ich stieg nach unten, so schnell ich konnte. Als ich die Hälfte der Strecke hinter mir hatte, fiel mir ein Batzen Scheiße mitten auf den Kopf.
    Für eine Sekunde erstarrte ich, doch dann kletterte ich weiter die Leiter hinunter, während mir die Kloake aus den Haaren ins Gesicht und zwischen die Augen lief.
    Die Fäkalien prasselten wie ein Gewitter auf mich herab – ein Shitstorm im wahrsten Sinn des Wortes. Dicke braune Tropfen landeten auf meinen Armen und auf meinem Kopf, und die Metallsprossen wurden glitschig davon. Ich hätte gerne nach oben geschaut, um zu sehen, was noch kam, aber da ich das Zeug weder in die Augen noch in den Mund bekommen wollte, hielt ich den Kopf während des gesamten Abstiegs gesenkt.
    Als ich schließlich unten ankam, von Kopf bis Fuß voller Scheiße, und von der untersten Sprosse der Strickleiter auf den Boden trat, knickten meine Beine unter mir weg und ich brach auf dem rissigen Beton zusammen.
    Sämtliche Muskeln und Fasern meines Körpers zitterten unkontrolliert. Ich konnte meine Hände nicht zu Fäusten ballen – so überlastet waren meine Sehnen vom Festhalten an den Sprossen.
    Ich lag stöhnend auf der Seite und hätte stundenlang so liegen bleiben können, wenn ich nicht voller Exkremente gewesen wäre.
    Ich packte die Strickleiter und zog mich daran hoch.
    Meine Knie zitterten.
    Ich blickte nach Westen, wo gerade die Sonne über dieser Geisterstadt unterging, und hatte das Gefühl, als verwandelte sich meine Seele in Eis. Ich wusste nicht, wie lange ich das alles noch aushalten konnte. Gleichzeitig war mir klar, dass es längst nicht vorbei war.
    Luther hatte Dantes
Inferno
speziell für mich nachgebaut.
    Und ich hatte noch sechs Höllenkreise vor mir.

    Ich trat von dem Fundament des Wasserturms hinunter und kroch wieder durch das Loch im Zaun.
    Inzwischen hatte der Regen aufgehört und der Himmel spiegelte sich in den Pfützen wider.
    Aus einer Dachrinne an einem Gebäude weiter vorne lief Wasser. Obwohl ich völlig erschöpft war, lief ich, so schnell ich konnte, darauf zu und

Weitere Kostenlose Bücher