Kite
haben hier eine gefährliche Situation.« Er deutete auf das Gebäude gegenüber vom Marquette-Hochhaus.
Ich hob die Hand. »Ich bin Jack Daniels aus dem sechsundzwanzigsten Revier. Haben Sie schon von mir gehört?«
Er runzelte skeptisch die Stirn. »Sie meinen Lieutenant Jack Daniels?« Er blickte misstrauisch auf meinen Bauch.
»Sie wurden gerufen, weil hier ein Mord im Gang ist, oder?«, fragte ich.
»Richtig.«
»Der mutmaßliche Täter ist ein männlicher Weißer mit langen schwarzen Haaren. Er ist bewaffnet, befindet sich noch im Gebäude und bringt gerade jemanden um.«
»Ich muss die Zentrale verständigen.« Er griff zu seinem Schultermikrofon.
Ich sagte: »Riegeln Sie sofort das Gebäude ab und schicken Sie ein paar Leute hinein. Wenn Sie keine Lust haben, in Zukunft Strafzettel an Falschparker zu verteilen, dann sorgen Sie dafür, dass hier keiner ein und aus geht.«
Mein Ton hatte offenbar seine Wirkung nicht verfehlt, denn seine nächsten Worte, die er ins Mikrofon sprach, lauteten: »Wagen eins-drei-fünf-sechs zum Hintereingang. Niemanden reinoder rauslassen. Mutmaßlicher Täter ist ein männlicher Weißer mit langen schwarzen Haaren. Äußerste Vorsicht geboten, er ist bewaffnet.«
Und dann traf die Kavallerie ein.
Ein Chevy Caprice kam angerast und hielt hinter den beiden Streifenwagen. Herb sprang hinter dem Steuer hervor. So schnell hatte ich ihn noch nie gesehen.
Zusammen gingen wir auf das Gebäude zu.
Ein Sirenenkonzert hallte durch die Häuserschluchten. Es klang, als wäre die gesamte Polizei von Chicago ausgerückt. Ein paar Blocks weiter heulte eine Feuerwehrsirene.
»Du musst die Umgebung sperren lassen, Herb«, sagte ich.
»Ist bereits geschehen. Ich habe an sämtlichen Zufahrtswegen Streifenwagen postiert.«
»Ich will, dass man das Gebäude nur durch den Ausgang zur Dearborn Street verlassen kann«, sagte ich, als wir den Gehsteigerreicht hatten. »Keiner kommt hier raus, bevor ich ihn mir angeschaut habe. Wo ist das SRT?«
Das Special Response Team war das Spezialeinsatzkommando des Chicago Police Department.
»Ist schon unterwegs, aber du musst …« Herb sah über meine Schulter hinweg und sagte: »Ach du Scheiße.«
Weiter vorne standen etwa ein Dutzend Schaulustige um einen Blumenkasten und blickten entsetzt drein.
Ich konnte bereits die Blutlache sehen.
Herb hatte sich seine Polizeimarke um den Hals gehängt und klapperte damit, als wir uns der Menge näherten.
»Alles zurücktreten! Niemand verlässt den Ort, bis wir mit ihm gesprochen haben!«
Wir blieben ein paar Schritte vor dem Blutbad stehen.
Ich sagte: »Scheiße, er ist auf einen Fußgänger gefallen.«
Es gab zwei Leichen. Die erste, ein Mann mit Anzug, Roe, lag auf dem Bauch, mit ausgestreckten Armen und Beinen in einem Beet mit zerdrückten Blumen, deren Knospen gerade erst aufgesprungen waren. Er sah wie eine riesengroße Portion Lasagne aus, die in etwa die Form eines menschlichen Körpers hatte. Der arme Kerl, auf dem er gelandet war, bot einen noch schlimmeren Anblick. Seine Gliedmaßen waren verrenkt und sein Kopf war beim Aufprall auf den Blumenkasten zerschmettert worden. Neben ihm lag geöffnet eine dicke Bibel, deren Seiten im Wind flatterten.
Die Polizei hatte inzwischen den Gehsteig abgeriegelt, sodass sich nur noch Leute an der Stelle aufhielten, die gerade vorbeigekommen waren, als sich der Vorfall ereignete.
»Ich gehe rein und suche ihn«, sagte ich.
»Jack, da drinnen sind bereits zwei Dutzend Polizisten. Die kriegen ihn.«
»Aber hat einer von denen den Mörder jemals zuvor aus nächster Nähe gesehen?«, fragte ich. »Ich kann ihnen dabei helfen.«
»Da drinnen läuft ein Psychopath herum, der dich umbringen will.«
»Ich will aber nicht nur untätig rumstehen.«
Herb berührte mich am Arm. »Hör zu, Jack. Ich versprech’s dir … keiner verlässt ohne dein Okay das Gebäude.«
»Herb …«
»Ich geh mit dir bis zum Eingang.«
»Herb …«
»Wer hat an diesem Tatort das Sagen?«
Ich biss mir auf die Unterlippe und kochte vor Wut.
Aber er hatte verdammt recht.
»Du«, sagte ich.
»Und du respektierst mich?«
»Natürlich, das weißt du doch.«
»Dann tu bitte, was ich dir sage, Jack.«
Luther
1. April, 13:54 Uhr
Er schlendert gemächlich durch die Räume von Peter Roes Anwaltskanzlei. Wie zu erwarten, wirkt der Ort nach den Schüssen wie eine Geisterstadt.
Er kann sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Das FaceTime-Gespräch mit Jack hatte seine
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