Kite
ich zum verlorenen Volke.«
Dante Alighieri,
Die göttliche Komödie
Luther Kite
Sechzehn Monate vorher
Als Erstes nimmt er sich das Haus vor und reißt alles heraus, bis nur noch die nackten Wände und der Fußboden übrig sind.
Er braucht zwei Tage, um die Ketten anzubringen. Die Fußeisen, Handschellen und Halseisen benötigen eine stabile Verankerung, und dafür muss er tief in die Mauer bohren.
Fünfzehn Monate vorher
»Was kann ich für Sie tun?«
»Wenn ich Geld abhebe, kann ich es mir in jeder beliebigen Stückelung auszahlen lassen, sogar in Münzen, richtig?«
»Ja.«
»Gut, dann möchte ich bitte fünfzigtausend Dollar in Ein-Cent-Münzen.«
»Verzeihung, sagten Sie fünfzigtausend Dollar?«
»Ja. Das wären dann fünf Millionen Ein-Cent-Münzen.« Er grinst. »Ich gehe davon aus, dass Sie nicht so viel in Ihrer Kasse haben.«
»So viel haben wir nicht mal im Tresorraum. Aber wir können es Ihnen besorgen. Das wird allerdings ein bisschen dauern.«
»Das macht nichts. Ich hab Zeit.«
»Wofür brauchen Sie denn die vielen Münzen, wenn ich fragen darf?«
Er grinst wieder. »Ich möchte damit zeigen, dass Geld nicht glücklich macht.«
Vierzehn Monate vorher
Er steht den ganzen Tag vor der Einfahrt zum Lagerhaus und sieht den Lastwägen dabei zu, wie sie rückwärts hineinrangieren.
Eine Fuhre Sand nach der anderen, dazu der Lärm der Bulldozer, die ihn verteilen.
Er kann sich nicht erinnern, wann er zuletzt so viel Energie verspürt hat.
Endlich, nach all den Jahren, kann er wieder etwas schaffen.
Zwölf Monate vorher
Der Sturm kommt zwei Tage früher als ursprünglich vorgesehen, in der Form von zehn Windmaschinen, wie man sie beim Film verwendet.
Sie kosten sechstausend das Stück.
Nachdem die Installation beendet ist, geht er mit der Fernbedienung durch die Lagerhalle, spielt mit den Tasten herum und malt sich aus, wie viel Spaß er damit haben wird.
Acht Monate vorher
Luther beobachtet Jack Daniels von seinem Versteck hinter einem Baum vor ihrem Haus. Dabei entdeckt er eine weitere Person, die es ihm gleichtut.
Das geht ganz und gar nicht.
Jack gehört ihm, nur ihm allein.
Sechs Monate vorher
Die Rechnung für die Monitore, die Überwachungskameras mitsamt Batterien und die dazugehörigen Kabel beläuft sich auf etwas über zweihunderttausend Dollar.
»Wollen Sie ein eigenes Fernsehstudio eröffnen?«, fragt der Verkäufer, als Luther ihm die Kreditkarte reicht.
»So was in der Art.«
Drei Monate vorher
Als der Fahrer des Gülletransporters wieder in sein Fahrzeug steigt, sitzt Luther bereits auf dem Beifahrersitz. Er lächelt und richtet die Glock vom Kaliber .40 auf den Mann.
»Wie viel Scheiße haben Sie da im Tank?«, fragt er.
Der Fahrer sieht ihn verwirrt an. »Äh, der Tank ist etwa drei viertel voll.«
»Dann schnallen Sie sich mal an und fahren Sie da hin, wo ich es Ihnen sage.«
Zwei Monate vorher
Luther starrt in den Käfig. Das riesige Tier starrt zurück und ihre Blicke bleiben aneinander haften.
»Sind Sie sicher, Kumpel?«, fragt der Mann, der das Tier verkauft. »Der ist extrem aggressiv. Als Haustier taugt er ganz und gar nicht. Außerdem frisst er viel Fleisch.«
Luther nickt bedächtig. »Fleisch ist kein Problem.«
Einen Monat vorher
Es ist spät nachts.
Zwei, vielleicht auch drei Uhr morgens.
Es hat den ganzen Tag geregnet und es regnet immer noch. Er kann das Prasseln auf dem Dach hoch über ihm hören.
In einer Ecke am anderen Ende der Lagerhalle tropft Wasser durch eine undichte Stelle im Dach und sammelt sich in einer immer größer werdenden Pfütze auf dem Betonboden.
Er hat die Generatoren für die Nacht abgeschaltet und läuft jetzt im Dunkeln umher. Die Taschenlampe ist seine einzige Lichtquelle.
Er steigt die Metalltreppe in den Keller hinab. Seine Schritte hallen in der Dunkelheit wider.
Er bleibt vor der Zelle stehen, holt den Schlüssel aus der Hosentasche und dreht ihn im Schloss.
Er stößt die Tür auf und lässt den Strahl der Taschenlampe über die Mauern huschen, bis er auf eine jämmerliche menschliche Gestalt fällt, die in der Ecke kauert. Sie ist mit einem Halseisen an die Wand gekettet, wie in einem Folterkeller aus dem Mittelalter.
Als ihn der Lichtstrahl mitten ins Gesicht trifft, blickt der Mann auf.
Er sieht völlig ausgemergelt aus und hat keine Zähne mehr.
Sein Bart ist fast einen halben Meter lang.
Seit etwa einem Monat muss Luther ihn zwangsernähren, da er nach sieben Jahren Gefangenschaft in
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