Kjell. Das Geheimnis der schwarzen Seerosen
sich dabei zu mir und sah mir tief in die Augen. Seine blauen Augen unter den dunklen Wimpern hatten grüne Sprenkel. Das war mir bisher noch gar nicht aufgefallen. Ich starrte ihn an. Bisher hatte ich nicht geglaubt, dass man in Augen ertrinken konnte. Ich hatte diesen Ausdruck auch immer ziemlich kitschig gefunden, wenn ich ihn in Filmen gehört hatte. Doch jetzt erkannte ich, dass es durchaus möglich war. Man konnte in Augen ertrinken! In seinen Augen. Ich wollte ihm antworten, aber es kam kein Laut von meinen Lippen, so schüttelte ich verneinend den Kopf. Warum war mein Mund plötzlich so trocken? Ich war doch keine 15 mehr! Okay, ich war immer schon etwas schüchtern gewesen, was Jungs anbelangte. Aber ich hatte schon einen Freund gehabt. Zwar erst mit 17, aber besser spät als nie.
»Wie lautet die Legende?«, fragte ich. Meine eigene Stimme kam mir fremd vor.
»Der Legende nach hat der Riese ein Grasbüschel in den See geworfen, damit seine Frau etwas zum drauf steigen hatte, wenn sie den See überquerte.«
»Das ist eine schöne Geschichte«, antwortete ich leise. Kjell nickte und ließ meine Hand los. Dieses wunderbare Gefühl von Nähe verschwand. Wieder lagen wir eine Weile schweigend da, während ich hilflos versuchte, das beginnende Gefühlschaos in mir, mit meinem Verstand niederzukämpfen. Mein Leben war so schon kompliziert genug.
Irgendwann sah ich auf meine Uhr. Oh mein Gott, konnte es schon so spät sein? Die letzte Fähre fuhr in weniger als 15 Minuten. Ich sprang auf. Kjell sah mich fragend an.
»Die letzte Fähre legt gleich an«, erklärte ich, während ich rasch mein Handtuch ausschüttelte und in meine Tasche stopfte. »Ich muss gehen.« Kjell stand ebenfalls auf. Er reichte mir den Krimi. Dabei berührten sich noch einmal unsere Hände. Es fühlte sich einfach verdammt gut an. Doch in Gedanken schüttelte ich den Kopf. Ich musste mich gefälligst zusammenreißen. Ich wusste überhaupt nichts von ihm.
Ich lief in Richtung Anleger und Kjell folgte mir. Langsam wurden meine Gedanken wieder klar. Bei einem Baum in der Nähe des Piers blieb ich stehen. »Sag mal, verfolgst du mich etwa?«, fragte ich ihn.
Er zuckte nur leicht mit den Schultern. »Du sagtest doch, die letzte Fähre kommt.«
»Ach so, ja.« Mir war gar nicht in den Sinn gekommen, dass er vielleicht ebenfalls zurück wollte.
Ich blickte kurz zum Anleger. Die Fähre war noch nicht zu sehen. Kjell lehnte sich gegen den Baum und sah auf mich herunter. So standen wir eine Weile dicht beieinander. Ich trat von einem Fuß auf den anderen. Seine Nähe irritierte mich weiterhin.
»Sag mal, hast du eigentlich Angst vor Trollen?«, fragte mich Kjell plötzlich.
Ich blinzelte verständnislos. Wie kam er denn jetzt auf diese Frage? »Du meinst die lustigen Steinfiguren, die es überall für die Touristen zu kaufen gibt?«
»Nej, ich meine die echten Waldtrolle. Fürchtest du dich vor ihnen?« Er sah mich interessiert an und wartete auf meine Antwort.
»Willst du mich auf den Arm nehmen?«, lachte ich unsicher. War das ein Test, den ich nicht verstand?
»Nun?« Seine Augen musterten mich.
»Also ich weiß, dass es viele schwedische Geschichten über Trolle gibt. Aber das sind ja nur Märchen. Ich glaube nicht an Trolle. Also brauche ich auch keine Angst vor ihnen zu haben.«
Kjell nickte nachdenklich. »Mycket bra«, sagte er mit einem seltsamen Unterton in der Stimme. »Du scheinst nicht an Legenden zu glauben.«
Ich zuckte nur unschlüssig mit den Schultern. »Ich weiß nicht.«
»Außerdem scheinst du mutig zu sein. Das ist gut.« Sein intensiver Blick durchbohrte mich fast. War das jetzt ein Kompliment gewesen?
Die Fähre kam und ich war fast ein wenig enttäuscht, dass dieser Ausflug bald zu Ende ging.
»Die Fähre legt an«, sagte ich überflüssiger Weise. Er schwieg. Ich schulterte meine Tasche und wollte zum Anleger laufen. »Kommst du?« Ich lächelte ihn an.
Doch Kjell machte keine Anstalten mir weiter zum Schiff zu folgen. Er stand da, lässig an den Baum gelehnt, die Hände in den Hosentaschen. »Pass auf, dass du nicht ins Wasser fällst«, bemerkte er betont kühl. »Ich habe keine Lust, dich wieder retten zu müssen.«
Es war, als hätte er einen Eimer Eiswasser über mich ausgeschüttet. Der Zauber der vergangenen Stunde war verflogen. Ich spürte, wie mir die Röte in die Wangen stieg. Mistkerl! So würdevoll wie möglich drehte ich mich um und ging.
Ich reihte mich in die Schlange der wartenden Leute
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