Kjell. Das Geheimnis der schwarzen Seerosen
und ruderte im Schutz der Insel fort. Erst als ich beim Sommerhaus anlegte, fühlte ich mich wieder sicher. Dieses bedrohliche Gefühl der Angst, das sich während der Unterhaltung in mir ausgebreitet hatte, empfand ich jetzt sogar als albern, zumal ich wirklich nur Bruchstücke des Gesprächs verstanden hatte. Es konnte sich um alles Mögliche handeln. Um ganz harmlose Dinge. Zum Beispiel, dass der junge Mann ein Geburtstagsgeschenk besorgen sollte und es noch nicht getan hatte.
Dennoch hoffte ich sehr, dass ich mich täuschte und es nicht Kjell gewesen war, den ich dort gesehen hatte. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass dieser junge Mann in irgendwelche krummen Geschäfte verwickelt war.
Selbst als ich später im Bett lag, ließ ich in Gedanken immer wieder die Szene ablaufen. Es war alles so schnell gegangen. Je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger glaubte ich daran, dass es Kjell gewesen war. Auch hatte seine Stimme etwas anders geklungen. Irgendwann schlief ich ein.
Natürlich träumte ich auch in dieser Nacht. Doch der Traum wandelte sich. Wieder saß ich allein im Ruderboot. Das dunkle Wasser um mich herum kam in Bewegung. Ich blickte über den Bootsrand und sah mein Gesicht, das sich auf der Oberfläche spiegelte. Ich war kein kleines Mädchen mehr. Ich war ich, jetzt. Zu dem aufsteigenden Gefühl der Angst kam eine seltsam gespannte Erwartung hinzu. Ich fühlte, dass es dieses Mal anders laufen würde. Fast gelassen legte ich die Ruder ins Boot. Ich ließ mich treiben und wartete auf den dunklen Strudel. Plötzlich hörte ich hinter mir aus dem Wald Kjell nach mir rufen: »Sofie, komm zu mir. Ruder zu mir Sofie. Komm hierher, schnell!«
Ich drehte mich um und entdeckte ihn am Ufer. Sah seinen Umriss im Dunkel der Bäume. Da tauchte der Strudel auf. Das Boot begann sich zu drehen. Nun versuchte ich doch an Land zu rudern, um zu Kjell zu kommen, aber es wollte mir nicht gelingen. Der Wasserstrudel erfasste das Boot und zog es in die Tiefe. Ich rief nach Kjell. Immer lauter und lauter. Er stand bewegungslos am Ufer. Kurz bevor das Wasser über meinem Kopf schwappte, sah ich noch, wie er sich umdrehte und im dichten Wald verschwand.
Am nächsten Morgen begrüßte mich ein Gespenst im Badezimmerspiegel. Meine braunen Haare hingen lang und glanzlos an meinem Gesicht herunter. Sie ließen es noch schmaler erscheinen. Meine Haut war an diesem Morgen unnatürlich blass. Nur einige Sommersprossen auf der Nase deuteten darauf hin, dass ich die letzten Tage draußen im Sonnenschein gewesen war. Ich hatte dunkle Ringe unter den Augen.
»Sehr sexy!«, stellte ich sarkastisch fest. Captain One Ear beobachtete mich vom Toilettensitz aus. Ich quetschte den Rest der Zahnpasta auf meine Bürste und fing an verbissen zu putzen. Als könnte ich damit den bitteren Nachgeschmack meines Albtraumes entfernen.
Nach einer ausgiebigen Dusche ging es mir jedoch schon deutlich besser. Leider war an dem Morgen nicht nur die Zahnpasta alle, sondern auch die Milch und das Katzenfutter. Während ich Tee zum Frühstück trank und einen Einkaufszettel erstellte, war der Kater wenig begeistert. Anklagend miaute er vor seinem Napf.
»One Ear, es tut mir leid«, sagte ich, während ich das Radio einschaltete. »Ich muss erst in den Ort fahren und einkaufen. Ich befürchte, du wirst dir dein Frühstück heute selbst jagen müssen.«
Der Kater miaute noch eine Weile kläglich vor sich hin, bevor er mir beleidigt sein Hinterteil entgegenstreckte und so würdevoll wie möglich durch die Katzenklappe verschwand.
Ich kaute an dem Bleistift und las noch einmal die Einkaufsliste durch, als mich eine Nachricht im Radio aufhorchen ließ. Es war eine Sondermeldung. Der Sprecher verkündete, dass ein Sträfling aus einem Gefängnis in der Nähe von Stockholm entflohen sei. Es handelte sich um einen mehrfachen Mörder, der zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Der Nachrichtensprecher berichtete weiter, dass die Polizei davon ausgehe, dass der Mann in südlicher Richtung unterwegs wäre und zuletzt in Höhe des Vättern von Augenzeugen gesehen wurde. Dann folgten eine Personenbeschreibung und die üblichen Telefonnummern, unter denen man sich melden sollte, falls man den Mann gesehen hatte.
Ich räumte mein Geschirr in die Spüle und hoffte sehr, dass sich dieser entflohene Mörder nicht gerade in der Gegend versteckt hielt, vor allem weil nun sämtliche Nachbarn wieder fort waren. Auch wenn die meisten anderen
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