Kjell. Das Geheimnis der schwarzen Seerosen
Nachrichtensprecher war zu sehen und dahinter das Bild des entflohenen Häftlings. Leider konnte ich nicht hören, ob er schon gefasst war, aber als eine Nummer für sachdienliche Hinweise eingeblendet wurde, begriff ich, dass sich der Sträfling noch auf freiem Fuß befand.
Momentan war mir viel zu viel los in dieser eigentlich so beschaulichen Gegend. Dass die heile Welt meiner Kindheit nur eine Illusion gewesen war, begrenzt auf einige wenige Sommerwochen, wusste ich heute nur zu gut. Aber dass da draußen gleich ein Mörder und eine Diebesbande den Wald unsicher machten, war des Bösen einfach ein wenig zu viel.
Etwas nervös war ich schon, bei dem Gedanken an die nächste Nacht im Sommerhaus. Mich erfasste wieder das Gefühl von Kälte. Doch diesmal ging es tiefer als das übliche Schaudern. Das Gefühl durchdrang mich. Ich fühlte mich beobachtet und umklammerte meine Cappuccinotasse fester. Verwirrt blickte ich mich um. Dann sah ich ihn. Er stand gegenüber des Eiscafés an der Straßenecke und blickte unverhohlen zu uns rüber. Lässig lehnte er an der Häuserwand. Seine Haare waren fast weißblond und obwohl er in einiger Entfernung stand, war ich mir sicher, seine Augen seien von einem hellen Eisblau. Sein Blick war so kalt und abschätzend, dass ich glaubte, auf meiner Haut müssten sich jeden Augenblick Eiskristalle bilden. Ich löste meinen Blick von dem mysteriösen Jungen und sah Lilja an, die gerade auflegte.
»Entschuldige«, bat sie mich, »aber ich musste meiner Oma sagen, dass ich einkaufen gehe, sonst hätte ich mich nicht ausklinken können. Heute ist, wie ich dir erzählt habe, der große Putztag und sie ist gerade beim Gardinenwaschen. Jetzt wartet sie darauf, dass ich zurückkomme, um ihr beim Aufhängen der Gardinen zu helfen.«
»Schon gut. Lilja, dreh dich mal unauffällig um. Der Junge, der dort an der Straßenecke steht, starrt zu uns herüber. Kennst du ihn zufällig?«
Lilja tat wie geheißen. »Welcher Junge?«
Ich blickte ebenfalls wieder zur gegenüberliegenden Straßenecke. Der Junge war verschwunden. Ich musste mich zusammenreißen, nicht zu zittern.
»Da stand eben noch ein blonder Typ und hat herüber geguckt.«
»Hm, du scheinst ja die schwedischen Verehrer anzuziehen, wie der Honig die Bienen«, meinte Lilja fröhlich.
»Also ich weiß nicht. Der sah irgendwie bedrohlich aus. Wenn er nun einer von der Sommerhaus-Bande war.«
»Unsinn!«, wischte Lilja meine Bedenken fort. »Die haben dich doch nicht gesehen. Wie sollten sie überhaupt von deiner Existenz wissen, oder wer du genau bist? Und warum sollte dir sonst jemand auflauern? Der Typ fand dich bestimmt einfach nur hübsch. Mach dir keine Gedanken!«
»Vermutlich hast du recht«, gab ich kleinlaut zu. Obwohl ich mir sicher war, dass der Junge ganz und gar nicht so ausgesehen hatte, als würde er mich toll finden.
Liljas Handy klingelte erneut. Sie warf einen Blick auf das Display. »Ist wieder meine Oma. Ich muss los, bevor sie noch eine Vermisstenanzeige aufgibt. Tut mir leid. Wir könnten uns die Tage ja noch mal länger treffen und dann musst du mir von deinem Date berichten.«
»Ja, das wäre toll. Danke, das du gekommen bist.«
»Klar, ich lass dich nicht hängen.« Lilja griff nach ihrer Einkaufstasche und umarmte mich noch kurz, bevor sie das Café verließ. Draußen winkte sie mir nochmals zu. Ich bezahlte meine Rechnung und überlegte, was ich mit dem Rest des Nachmittags anfangen sollte. Es war noch früh genug, um ein wenig zu Rudern. Sozusagen als Dessert.
***
Als ich beim Sommerhaus ankam, schien alles friedlich. Der Kater döste auf der Terrasse und die Vögel zwitscherten. Der Himmel war bedeckt, aber hier und da sah man einen kleinen blauen Fleck. Es war auch nicht sehr kalt. Dennoch nahm ich meine Windjacke mit ins Boot. Auf dem See wehte oftmals ein frischer Wind. Obwohl ich keine rechte Lust zum Angeln hatte, packte ich meine Rute und die Köder ein. Vielleicht fand sich doch noch ein Plätzchen, an dem ich die Angelrute auswerfen wollte.
Ich stieg ins Boot. Eigentlich hatte ich gehofft, wieder ein Taschentuch am Ruder zu finden. Doch ich wurde enttäuscht. Keine Nachricht von Kjell. Dabei hätte ich mir gerade heute eine Nachricht von ihm gewünscht. Aber selbst ist die Frau und so stieß ich mich energisch vom Ufer ab und ruderte los.
Ich entschied mich wieder für den Sandsjön. Vorbei an meiner Lieblings-Angelbucht, ruderte ich zügig durch einen schmalen Schilfgürtel zwischen zwei
Weitere Kostenlose Bücher