Kjell. Das Geheimnis der schwarzen Seerosen
Himmel wurde pechschwarz und das Wasser kam in Bewegung. Aber was dann geschah, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich nicht mehr erinnern. Irgendwann war ich plötzlich mit dem Boot auf dem Sandsjön und dort hat mich mein Vater wohl gefunden …«
Ich schwieg und starrte erneut in meine Teetasse. Der Tee war so schwarz. So schwarz wie das Wasser des versteckten Sees. Und während ich in meine Tasse blickte, sah ich vor meinem geistigen Auge noch etwas. Etwas, dass ich all die Jahre verdrängt hatte. Fast wäre ich aufgesprungen. »Ben! Ich habe gesehen, wie er versuchte an die Wasseroberfläche zu kommen. Ich habe gesehen, wie er kämpfte. Etwas hielt ihn fest, etwas …«
Ich merkte erst, dass ich heftig zitterte, als Uffe mir beruhigend seinen Arm um die Schultern legte. »Sofie, beruhige dich. Alles ist gut.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nichts ist mehr gut.«
Uffe Kvarnström blieb noch lange bei mir. Langsam beruhigte ich mich wieder und er erklärte mir, dass ich diese Szene nur verdrängt hatte, weil ich mich schuldig fühlte. Ich erinnerte mich wieder, an meine wiederkehrenden Träume nach dem Unglück, in denen Ben unter Wasser gezogen wurde. Doch ich hatte niemals jemandem davon erzählt. Selbst meinen Eltern nicht. Sie hatten es schwer genug gehabt.
Das Gespräch mit Uffe war auf eine seltsame Weise tröstlich. Mir wurde plötzlich klar, dass die Albträume tatsächlich durch ein Gefühl von Hilflosigkeit und Schuld ausgelöst worden waren. Ich fühlte mich schuldig, weil ich Ben nicht hatte retten können. Auf diesem Weg wollte meine Seele das Geschehene verarbeiten. Da war niemals etwas gewesen, das Ben in die Tiefe gezerrt hatte. Rückblickend war ich mir nun sicher, dass ich niemals gesehen hatte, wie er ertrank. Ich hatte nur gesehen, wie er ins Wasser gesprungen war. Alles andere musste ich mir eingebildet haben. Uffe hatte recht. Ich war nur ein kleines Mädchen gewesen und mein großer Bruder, war selber auch nur ein unvorsichtiger kleiner Junge gewesen. So klug und erwachsen hatte er immer auf mich gewirkt. Dabei wusste er doch, wie gefährlich es sein kann, in ein unbekanntes Gewässer zu springen.
Uffe meinte, dass es nun für mich an der Zeit war, diese traurigen Erinnerungen und Albträume aufzulösen und loszulassen. Ben war ertrunken und es war nicht meine Schuld gewesen. Ich konnte die Vergangenheit nicht mehr ändern. Aber ich konnte sie akzeptieren. Meine Eltern waren bei einem Verkehrsunfall gestorben und auch dieses Unglück konnte ich nicht ändern.
Der Morgen danach war friedlich. Obwohl ich in dieser Nacht wieder geträumt hatte, fühlte ich mich irgendwie erleichtert. Ich war in Schweden, um mich an die schönen Dinge zu erinnern und meiner Familie wieder nahe zu sein. Ich würde noch lange trauern. Es war mir klar, dass es noch ein weiter Weg sein würde, bevor ich mit den Schrecken der Vergangenheit abschließen konnte. Dennoch hatte ich an diesem Morgen zum ersten Mal das Gefühl, ich könnte es schaffen und meine eigene Zukunft finden.
Eingehüllt in meine Fleecejacke stand ich mit einer Tasse heißen Milchkaffee auf der Terrasse hinter dem Haus. Ich beobachtete, wie der Frühnebel seine feinen Schleier über Rasen und See sponn. Zwischen den Seerosen platschte es mehrfach. Einmal sah ich sogar einen kleinen Fisch springen.
Ich atmete die frische Morgenluft ein und sah auf die leuchtend gelben Blätter der Birken am gegenüberliegenden Ufer. Bei jedem Windstoß fielen einige der Blätter ab und segelten in kleinen Kreisen hinunter, bis sie auf der Wasseroberfläche landeten. Dort trieben sie zwischen den Seerosenblättern umher. An den geschützten Stellen blühten immer noch einige Seerosen. Ihre weißen Blüten waren wie ein letztes Aufbäumen des Spätsommers gegen den allgegenwärtigen Herbst. Ich hatte die Seerosen immer geliebt. Als kleines Mädchen hatte ich jedes Jahr eine Seerose gepflückt und mir ins Haar gesteckt.
Wieder platschte es im Wasser und mehrere Rotaugen sprangen hoch. Diese kleinen Fische gab es zuhauf in den verkrauteten Uferzonen. Sie suchten Schutz zwischen den Pflanzen. Doch anscheinend wurden sie von einem Raubfisch aufgescheucht, der dort gerade jagte. Es war eigentlich die richtige Zeit zum Fischen. Ich überlegte kurz, ob ich mit dem Ruderboot rausfahren sollte. Die Sitzbank im Boot würde noch ganz feucht und kalt sein. Ich beschloss lieber einen Spaziergang durch den Wald zu machen, in Richtung Karibik. Auf der anderen Seite der
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