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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
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Februar war zur Hälfte rum, noch zwei Wochen, zuzüglich je vier Wochen März, April und Mai, ergaben unterm Strich also nur 14 Wochen, um Clarissa – wie sagte man das? Flachzulegen? Zu erobern? Für mich zu gewinnen?
    Ich schaltete den Fernseher aus, putzte mir die Zähne und wollte eben ins Bett gehen, als ich stolpernde Schritte auf der Treppe hörte. Offenbar kam Hanna beschwipst nach Hause. Aber dann hörte ich sie kichern und tuscheln und eine gedämpfte männliche Stimme. Zorro ohne Maske. Stille. Jetzt ließ sie sich von ihm garantiert abknutschen und begrapschen. Schöner fremder Mann. Erneutes Getuschel, Gekicher. Schritte treppab. Wieso treppab? Zorro hauste doch oben im Juchhe. Ich öffnete die Wohnungstür einen Spalt und konnte hören, dass sie nicht das Haus verließen, sondern in den Keller gingen, sich dort aber nicht lange aufhielten, sondern gleich wieder heraufkamen. Ich schloss die Tür, lauschte. Sie tappten an unserer Wohnung vorbei. Ich hörte die Stiege zum Juchhe knarren und die Tür quietschen. Stille. Ich hielt die Luft an. Tiefere Stille.
    Ich wartete einige Minuten. Dann schlich ich ihnen nach, nahm dort, wo die Dielen knarrten, zwei Stufen auf einmal, erreichte lautlos das Juchhe und legte das Ohr an die Tür. Geraschel. Getuschel. Stille. Licht hatten sie nicht gemacht, es wäre sonst durch den unteren Türspalt gebrochen. Dennoch versuchte ich, durchs Schlüsselloch zu spähen. Dunkelheit. Geraschel. Mir stieg ein Kribbeln in die Nase. Gleich würde ich niesen müssen. Ich kniff mir mit Daumen und Zeigefinger die Nase zu, verließ meinen Horchposten und nieste erst, als ich zurück in unserer Wohnung war.
    Im Bett versuchte ich mir vorzustellen, was sich jetzt im Juchhe abspielte, aber es gelang mir nicht, weil ich eifersüchtig auf Hanna und ihren schönen fremden Mann war. Sie nahmen sich einfach, was für Clarissa und mich unerreichbar blieb. Und der 30. Mai rückte unerbittlich näher, Sekunde für Sekunde, Minute für Minute. Das Licht der Straßenlaterne brach durch die Gardinen und fingerte goldgelb über meine Bettdecke. Ob Clarissa sich jetzt wohl auch schlaflos in ihrem Bett wälzte und vor Sehnsucht nach mir verging? Wie machten es eigentlich die Mädchen, wenn sie sich vom Überdruck befreien mussten und gerade keinen Mann zur Hand hatten? Wie in Frauen und Mönche mit Kerzen? Warum ausgerechnet am 30. Mai? Und hatte Herr Lemartin Fromms in der Tasche? Warum nicht am 29. Mai oder am 1. Oktober? Das leise Ticken meiner Armbanduhr. Und was hieß Fromms auf Französisch? Und warum waren sie vorhin erst in den Keller gegangen? Rätselhaft war das alles, aufregend und irgendwie auch beängstigend.

    Das Sonntagsmittagessen folgte der üblichen Zeremonie, diesmal mit Hackbraten und Leipziger Allerlei. Allerdings erklärte meine Mutter, dass der Hackbraten eigentlich kein Hackbraten sei, sondern Arabisches Reiterfleisch. Das hatte nämlich neulich der Fernsehkoch Clemens Wilmenrod erfunden, der auch schon den sensationellen Toast Hawaii kreiert hatte. Meine Mutter fand diesen merkwürdigen Mann »unglaublich charmant«, sah sich jede Sendung an und kochte nach, was Wilmenrod auf seinem stets prominent ins Bild gesetzten Infrarotgrill Heinzelkoch zusammenrührte. Mein Vater schüttelte den Kopf über dessen stereotypen Begrüßungssatz »Liebe Freunde in Lucullus«, nannte Wilmenrod einen albernen Schaumschläger und weigerte sich sogar, meiner Mutter zu Weihnachten einen Heinzelkoch zu schenken.
    »Hackbraten bleibt Hackbraten«, sagte er, »und das ist auch gut so.«
    Bevor es zu einer kulinarischen Verstimmung kommen konnte, erkundigten sich meine Eltern, die bis morgens um drei auf dem Apothekerball gefeiert und getanzt hatten, wie es Hanna und mir auf dem Barfuß-Ball gefallen hätte.
    »War dufte«, sagte ich.
    Hanna nickte nur.
    »Herr Lemartin war auch da«, sagte ich betont beiläufig.
    Hanna wurde schlüpferrot und warf mir einen misstrauischen Blick zu.
    »Ach, wie nett«, sagte meine Mutter, »dem scheint es hier ja gut zu gefallen. Vielleicht sollten wir ihn mal zum Mittagessen einladen.«
    Ich grinste Hanna an.
    Sie schluckte Hackbraten, schien einen Moment nachzudenken. »Clarissa«, sagte sie dann spitz, »war übrigens auch da.«
    »Wer ist denn Clarissa?«, fragte mein Vater.
    »Die kleine Italienerin von nebenan«, sagte Hanna.
    Jetzt wurde ich rot.
    »Unerhört«, sagte Oma. »War sie denn wenigstens manierlich angezogen?«
    »Pst«, sagte meine Mutter und

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