Klack: Roman (German Edition)
Auto, einen Messerschmidt Kabinenroller, in dem man sich hauteng aneinanderpressen musste, wenn man zu zweit einstieg. Vielleicht war das ein Student mit eigener, sturmfreier Bude in einem Souterrain oder Juchhe und einem Päckchen Fromms im Jackett. Und Clarissa hatte unter ihrem kleinen Schwarzen bestimmt den roten Schlüpfer an.
»Was hockst du denn hier so kümmerlich rum?« Jemand trat mir mit besocktem Fuß aufmunternd ans Schienbein. Ich sah auf. Rudi Wiechers. »Bist du etwa besoffen?«
Jetzt galt es, Haltung zu bewahren. »Schön wär’s«, sagte ich betont lässig. »Bier gibt’s aber erst ab sechzehn.«
»Ach was«, sagte er und hob die Bierflasche in seiner Hand. »An der Bar im Geräteraum steht Helmut von den Handballern. Unter Sportsfreunden fragt doch kein Mensch nach deinem Alter.«
Handballer Helmut hatte offenbar schon selbst einige Bierchen intus und schob ohne Ansehen von Person oder Alter lauwarme Pilsflaschen über den als Tresen dienenden Sprungtisch. Rudi bot mir eine Peer Export an. Ich sah mich um, ob wir von irgendwelchen sogenannten Erziehungsberechtigten beobachtet wurden.
»Scheißegal«, sagte Rudi, »hier raucht doch jeder.«
Das lauwarme Bier und die hastig gepaffte Zigarette stiegen mir schnell zu Kopf, leichter Schwindel wurde von Leichtigkeit, wenn nicht gar Schwerelosigkeit abgelöst. Bei der zweiten Flasche schäumte Bedenkenlosigkeit auf. Um Clarissa zu erobern, würde ich jetzt einfach auf die Tanzfläche marschieren, würde Clarissa meinem Nebenbuhler entreißen in jenem Handstreich, den ich in der Tanzschule als Abklatschen gelernt hatte: Vor dem Herrn, den man aus dem Feld schlagen wollte, baute man sich einfach auf, klatschte in die Hände und griff sich die nunmehr freie Dame. Und falls sich dieser Lackaffe, der Clarissa bescherzte, durchs Händeklatschen nicht verscheuchen ließ, würde ich ihm eine Ohrfeige verpassen. So einfach war das.
So einfach wäre es vielleicht gewesen, hätte die Kapelle nicht in dem Moment, da ich mich besäuselt und bedenkenlos ans Parkett heranpirschte, eine Tanzpause verkündet. Die Paare zerstreuten sich und drängten zu den Bars und Büfetts an den Rändern und Seitentrakten der Turnhalle. Auf der Suche nach dem Traum meiner schlaflosen Nächte irrte ich durch die Menge und wurde schließlich im Flur, der zu den Umkleidekabinen führte, fündig. Clarissa saß, eine Flasche Bluna in der Hand, auf einer Bank und plauderte mit zwei Mädchen, die ich nicht kannte, Klassenkameradinnen wohl, aber ohne den Schnösel, mit dem sie getanzt hatte.
Mit dem Mut, den ich mir angetrunken hatte, baute ich mich vor dem Mädchentrio auf und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich dachte, das erlaubt dein Vater nicht.« Das sollte beiläufig und lässig klingen, troff aber nur weinerlich aus mir heraus.
Clarissa blickte auf, lächelte. »Da bist du ja«, sagte sie, als hätte sie auf mich gewartet, und tuschelte dann mit ihren Freundinnen, die kichernd abzogen. »Setz dich doch.« Sie deutete auf den freien Platz neben sich.
Ich hätte mich gern dicht an sie geschmiegt und ihr den Arm um die Schultern gelegt, setzte mich aber einen halben Meter von ihr entfernt, um kühle Distanz zu mimen. »Du hast zu mir gesagt, dein Vater erlaubt nicht –«
»Mein Vater«, unterbrach sie mich, »hätte es nie erlaubt, dass ich mit einem Jungen auf den Ball gehe. Und schon gar nicht mit dir. Aber mit meinen Freundinnen durfte ich.«
Der Bleiklumpen, zu dem mein Herz mutiert war, schmolz innerhalb von Sekunden und verwandelte sich in einen Atomblitz glühender Inbrunst. Ich rückte näher, roch Lavendelduft und fürchtete, eine Bierfahne auszudünsten.
»Wie meinst du das: schon gar nicht mit mir?«
Auf ihren Wangen erblühte es rötlich. Sie gab keine Antwort, wandte den Blick ab, zuckte mit den Schultern und sog in kleinen Schlucken Bluna durch den in Vereinsfarben blau-weiß geringelten Plastikstrohhalm. Schon gar nicht mit mir. Clarissas Vater hatte mich also durchschaut, hatte uns durchschaut, wollte verhindern, dass ich, dass wir –
Eins, zwei, drei, eins zwei, drei. Jetzt setzte die Kapelle wieder ein. Langsamer Walzer. In Walzer war ich gut.
»Wollen wir tanzen?«
Sie nickte stumm, stellte die Bluna unter die Bank und ließ es zu, dass ich ihre Hand in meine nahm und sie auf die Tanzfläche führte. Vor Erregung bebend, legte ich meine rechte Hand oberhalb ihres Hinterns in die Rückenmulde, während meine linke ihre rechte fand und ich mit
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