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Klack: Roman (German Edition)

Klack: Roman (German Edition)

Titel: Klack: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Modick
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erdrücken. Was Clarissa jetzt wohl machte und dachte? Einmal glaubte ich, hinter einem Fenster des Wintergartens ihr Gesicht zu sehen, das sehnsüchtig zu mir herüberblickte. Aber es waren wohl nur Schatten des schwarzen, über den Himmel jagenden Gewölks. Ein großer Ast des Birnbaums brach, fiel aber nicht zu Boden, sondern blieb an Borkenfasern hängen und torkelte im Wind wie eine außer Kontrolle geratene Schiffschaukel auf dem Ostermarkt. Herr Tinotti kam aus der Haustür. Er hatte einen wadenlangen Kleppermantel an, drückte sich den Hut tief in die Stirn und stapfte durch Sturm und Regen davon. Wo wollte der denn jetzt hin? In seiner halbfertigen Eisdiele nach dem Rechten schauen?
    Zum Abendbrot erschien Hanna wieder auf der Bildfläche, pflichtgemäß sozusagen. Obwohl sie neulich davon gefaselt hatte, nicht als Frau zur Welt gekommen zu sein, sondern erst dazu gemacht zu werden, und dass es keine weibliche Essenz gebe, sondern nur das zur Immanenz verdammte andere Geschlecht, spielte sie sich in Abwesenheit unserer Eltern nur zu gern als Erziehungsberechtigte und Hausfrau auf und warf sich sogar in einen Haushaltskittel mit Schottenmuster, unter dem der schwarze Rollkragenpullover aus knitterarmem Dralon irgendwie deplatziert hervorlugte. Bei Schmelzkäseecken, Fleischsalat und Pfefferminztee erklärte sie mir, heute Abend ins Kino gehen zu wollen.
    » Meuterei auf der Bounty mit Marlon Brando.«
    »Nicht mit Monsieur Juchhe?«, sagte ich.
    Sie glotzte mich giftig an. »Jean-Pierre, ich meine Herr Lemartin und ich, also das ist, wie soll ich sagen, rein platonisch. Wir sind Seelenverwandte.«
    »Seelenverwandte klingt nach Oma«, sagte ich.
    »Das verstehst du noch nicht. Wir haben eben gemeinsame Interessen, Kunst, Philosophie, Jazz –«
    »Das kann man hören.«
    »Spionierst du mir etwa nach?«
    Ich grinste mokant.
    »Also jetzt pass mal auf«, sagte Hanna verschwörerisch, »du bist doch schon fast –, du bist doch schon erwachsen. Du kannst schweigen. Ich möchte, dass du alles für dich behältst, was da mit Jean, was zwischen Herrn Lemartin und mir – du weißt schon, was ich meine. Also kein Wort zu Mutti und Vati. Großes Ehrenwort?«
    »Mal sehen«, sagte ich und meinte: was kriege ich dafür?
    Aber diesmal ließ Hanna nicht mit sich handeln. »Ehrenwort!«, verlangte sie und machte eine Kunstpause. »Oder –«
    »Oder was?«
    »Clarissa«, sagte Hanna. »Wenn das Mutti und Vati –«
    Ich verschluckte mich am Fleischsalat, hustete.
    »Trink einen Schluck Pfefferminztee«, sagte sie und klopfte mir zwischen die Schulterblätter. »Sind wir uns einig?«
    »Erpressung«, keuchte ich.
    Sie kicherte widerlich triumphierend und hängte den Haushaltskittel an den Haken. »Ich hab das Essen gemacht, also wäschst du ab«, sagte sie und verschwand im Badezimmer.
    Aus dem Kofferradio auf der Fensterbank kam Das Echo des Tages – Kommentare und Meinungen zum Zeitgeschehen. Der Pressesprecher des Bundesverteidigungsministeriums widersprach der Ansicht vieler Militärs, sie vermöchten eine atomare Konfrontation zu steuern. Ein solcher Krieg sei vielmehr unkontrollierbar. Das schreckliche Bild vom Atomkrieg räume also der Abschreckung vom Krieg eine große Chance ein. Wenn ich es recht verstand, sollte das heißen, dass die Drohung mit Atombomben dem Frieden diente. Wie das? Fiele dann dank der Atombomben am 30. Mai der Weltuntergang aus? Im nächsten Beitrag ging es um den Arbeitskräftemangel in der sogenannten DDR, dem das Unrechtsregime mit sogenannten Hausfrauenbrigaden abhelfen wollte. Was die Sogenannten wohl dazu sagen würden, wenn man ihnen was vom zur Immanenz verdammten anderen Geschlecht erzählte? Zur Erholung gab es erst mal Pausenmusik. Mina sang:
Heißer Sand und ein verlorenes Land
und ein Leben in Gefahr.
Heißer Sand und die Erinnerung daran,
dass es einmal schöner war.
Schwarzer Tino, deine Nina
tanzt im Hafen mit den Boys,
nur die Wellen singen leise –
    »Wir unterbrechen unsere Sendung für eine Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdienstes. Im Gefolge des Orkans Vincinette ist bei Windgeschwindigkeiten bis Stärke 12 an der gesamten Nordseeküste mit einer schweren Sturmflut zu rechnen, die auch Teile des Hinterlands in Mitleidenschaft ziehen kann. Polizei und Feuerwehr raten der Bevölkerung, Häuser und Wohnungen nicht zu verlassen. Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks haben –«
    Es klingelte zweimal kurz wie ein verabredetes Signal an der Haustür. Hanna,

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