Klack: Roman (German Edition)

besänftigend. Dazu erklang lebenslustig und unbeschreiblich heiter Eine kleine Nachtmusik.

    Nach jahrelangen Querelen hatte sich die Erbengemeinschaft zusammengerauft und Haus und Grundstück an Siefkens neue Immobiliengesellschaft mbH verkauft. Siefkens Abrissbagger brauchte nur einen Vormittag, um den Schandfleck in einen Trümmerhaufen zu verwandeln.
    Oma nahm die Arbeiten mit stiller Genugtuung zur Kenntnis, und als ein Vermessungstrupp des Katasteramts mit Peilgerät und Messstäben zu Werke ging, kommentierte sie das mit den Worten, Ordnung müsse sein. Eine Woche später erhielt sie ein Einschreiben der Immobiliengesellschaft mbH, demzufolge katasteramtlich festgestellt worden sei, dass die Grundstücksgrenze 85 Zentimeter westlich der Mauer aus Gelbklinker verlaufe. Um die geplanten Bauarbeiten ausführen zu können, seien Mauer und somit auch die Garage binnen einer Frist von 14 Tagen abzureißen.
    Oma war außer sich. Immer schon sei die Grenze durch Birnbaum und Kastanie markiert gewesen. Man könne die herrlichen Bäume doch nicht so ohne Weiteres dem Osten zuschlagen. Unerhört! Und Mauer und Garage? Was die gekostet hätten! Da verlange sie Schadensersatz. Sie sprach beim Katasteramt vor und biss auf Granit. Sie erschien bei der Baubehörde und lief gegen eine Wand. Sie konsultierte Rechtsanwalt Bernholz, dessen Sohn Hanna vergeblich hofiert und schließlich gegen Lemartin den Kürzeren gezogen hatte. Bezug nehmend auf § 873 ff. BGB riet Bernholz dringend von einer Klage ab; ein Irrtum oder Vermessungsfehler der liegenschaftskatasterführenden Verwaltung sei mehr als unwahrscheinlich und nicht nachweisbar.
    Oma schmollte und grollte ein paar Tage, fügte sich aber schließlich ins Unvermeidliche. Die Mauer sei sowieso nur eine Abwehrmaßnahme gegen diese übergriffigen Nottis gewesen –
    »Sie heißen Tinotti«, sagte ich, »nicht die Nottis.«
    »Nun werd du nicht auch noch frech«, sagte Oma.
    Die Mauer habe jedenfalls ihren Zweck erfüllt und könne also abgerissen werden.
    Siefkens Bagger brachte sie samt Garage zu Fall.
    Wo der Schandfleck gestanden hatte, gähnte jetzt eine Baugrube, in der sich Grund- und Regenwasser sammelte. Meinen Vater erinnerte der Anblick an Bombentrichter in Stalingrad. Mir kam das Loch vor wie der Krater eines erloschenen Vulkans. Bei seinem Ausbruch war ich in den Lavastrom geraten. Jetzt war alles erstarrt. Die tief stehende Novembersonne glitzerte kalt auf dem stillen Wasser.
    Klack.

Im Roman erwähnte Schlager
    »Marina«
    Interpret: Rocco Granata
    Musik und Text: Rocco Granata
    »Popocatepetl-Twist«
    Interpreten: Caterina Valente/Silvio Francesco
    Musik: Giuseppe Mengozzi, deutscher Text: Hans Bradtke
    »Schöner fremder Mann«
    Interpret: Connie Francis
    Musik: Hal Gordon, Athena Hosey, Text: Camillo Felgen
    alias Jean Nicolas
    »Am 30. Mai ist der Weltuntergang«
    Interpreten: Golgowski Quartett
    Musik: Karl Erpel, Text: Bert Roda
    »Heißer Sand«
    Interpret: Mina
    Musik: Werner Scharfenberger, Text: Kurt Feltz
    »Ramona«
    Interpreten: Blue Diamonds
    Musik: Louis Wolfe Gilbert, deutscher Text: Blue
    Diamonds

Das Buch
    Markus hat es eigentlich gut. Auch seine Familie hat teil am westdeutschen Wirtschaftswunder, man kann sich wieder etwas gönnen, sogar ein Fernseher ist angeschafft worden – und doch hat er zu leiden: an der tyrannischen Großmutter, den immergleichen Kriegserzählungen des Vaters, den autoritären Lehrern am Gymnasium, vor allem aber an unerwiderten Gefühlen.
    Mit dem Auftauchen der Tinottis kommt Bewegung in sein Leben. Die italienische Familie zieht nebenan ein und eröffnet eine Eisdiele, Markus ist aber vor allem fasziniert von Clarissa. Während in Berlin die Mauer gebaut wird und seine Oma im Garten einen Zaun ziehen lässt, um vor den Spaghettifressern sicher zu sein, erprobt Markus Strategien der Annäherung und greift sogar zur Gitarre.
    Mit Lust am Detail, großer erzählerischer Kraft und viel Humor fängt Klaus Modick die Stimmung einer entscheidenden Phase der bundesdeutschen Geschichte ein. Im Westen geht es aufwärts, während der Osten sich einmauert, und plötzlich steht die Welt am atomaren Abgrund. Und mittendrin Markus, der sich nichts sehnlicher wünscht als den ersten Kuss, und der mit seiner Kamera die Momente festhält, die das Leben ausmachen.

Der Autor
    Klaus Modick , geboren 1951, studierte in Hamburg Germanistik, Geschichte und Pädagogik, promovierte mit einer Arbeit über Lion Feuchtwanger und arbeitete