Klack: Roman (German Edition)
Lemartin aus Straßburg war, während der orgelnde Sänger ölte:
Schöner fremder Mann,
einmal kommt die Zeit,
und dann wird mein Traum
endlich Wirklichkeit,
schöner fremder Mann,
dann fängt für uns die Liebe an.
Weil das nicht von Connie Francis, sondern von einem Mann im roten Samtanzug gesungen wurde, klang es nicht nur kitschig, sondern irgendwie auch schwul, aber Hanna, die solchen Schnulzen angeblich längst zugunsten von Elvis und Buddy Holly entsagt hatte, zog ein derart verzücktes Gesicht, als hätte sie das Lied eigens für sich und ihren Zorro bestellt. Hatte sie ja vielleicht sogar?
Dann setzte ich mich noch auf ein Bier und eine Zigarette zu Rudi in den Geräteraum.
»Bist du etwa hinter der kleinen Spaghetti her?«
»Halt’s Maul, sonst kriegst du was drauf.«
»War nicht so gemeint. Süße Krabbe irgendwie.«
»Mh –«
»Lässt sie dich ran?«
»Klar, was denkst du denn?«
»Schon mal flachgelegt?«
»Mh mh –«
»Was heißt mh mh?«
»Nix. Ich muss los. Elf Uhr Zapfenstreich.«
»Zapfenstreich ist gut«, grinste Rudi und rieb mit der um die Flasche geschlossenen Faust auf und ab.
Oma schnarchte im Fernsehsessel vor sich hin, während auf dem Bildschirm eine Mädchenriege in komischen Uniformen zu Schunkelmusik über eine Bühne hüpfte. Auf einem Podium im Hintergrund saßen Männer, ebenfalls uniformiert und mit Kasperlekappen auf dem Kopf. Sie sahen nicht sonderlich amüsiert, sondern eher schläfrig, vielleicht auch nur angetrunken, den Mädchen zu, die ihre Beine in die Luft warfen, sodass man unter den kurzen Röckchen die Schlüpfer sehen konnte.
Ich tippte Oma auf die Schulter. Sie schreckte auf, blickte zum Fernseher und schüttelte den Kopf. »Was für ein Unfug«, murmelte sie, »und alles erwachsene Menschen. Man fasst es nicht.« Dann schaute sie auf die Uhr, kurz vor elf, und nickte anerkennend. »Na, du bist aber pünktlich.« Und damit rappelte sie sich aus dem Sessel hoch und ging nach unten in ihre Wohnung.
Vor den gelangweilten alten Männern standen jetzt zwei als drollige Vagabunden kostümierte Komiker auf der Bühne, die Witze erzählten. »Treffen sich Chruschtschow und Kennedy. Kennedy stellt sich vor: Gestatten, Kennedy. Sagt Chruschtschow: Nee, ich kenn di net.«
»Tätä! Tätää!! Tätäää!!!«, trompetete eine Blaskapelle. Vermutlich war das eine Aufforderung zum Lachen.
Ich ging aufs Klo und ließ Bier ab. Als ich zurückkam, schmissen die drallen Mädchen wieder ihre Beine in die Luft. Die Blaskapelle intonierte einen zackigen Marschrhythmus, und die beiden Witzbolde sangen dazu.
Wie schön ist doch das Leben
auf dieser bunten Welt.
Wir können einen heben,
sooft es uns gefällt.
Die lieben holden Frauen
vergessen wir ja nie,
wenn wir ins Glas ’reinschauen,
wir denken nur an sie.
Da war schon was dran. Auch ich dachte nur an sie. Zwar nicht an die, die da als Funkenmariechen zu Humba-Humba-Humba-Täterää auf der Bühne Faxen machten, obwohl die eine oder andere ganz ansehnlich war, sondern nur an die, deren biegsame Taille ich immer noch unter meiner Hand, deren flüchtigen Kuss ich immer noch auf meiner Wange zu spüren glaubte. Ich dachte mir das Gesicht eines der Tanzmädels weg, stellte mir vor, ihr unterm Röckchen schwarz-weiß blitzender Schlüpfer sei so rot wie der, den ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte, und in diese Phantasie mischte sich die Geste, mit der Rudi über die Bierflasche gerubbelt hatte, sodass ich gar nicht anders konnte, als mir die Hose aufzuknöpfen und durch den Eingriff meiner Doppelripp-Unterhose von Schiesser –
Aber in diesem Augenblick setzte ein Refrain ein, den der ganze Saal mitgrölte und der meinen Zapfenstreich in eigener Sache so abrupt abblies, als hätte mir Clarissas Vater dabei auf die Finger geschaut.
Am dreißigsten Mai ist der Weltuntergang,
wir leben nicht mehr lang,
wir leben nicht mehr lang.
Am dreißigsten Mai ist der Weltuntergang,
wir leben nicht mehr lang,
wir leben nicht mehr lang.
Doch keiner weiß, in welchem Jahr,
und das ist wunderbar.
So albern das Lied sein mochte, jagte es mir doch mehr Angst ein als die apokalyptischen Andeutungen der Erwachsenen über mordbrennende Sowjets und den dräuenden Atomkrieg, der außer Kakerlaken und Silberfischchen auf dieser Welt nichts Lebendiges hinterlassen würde. Dass zwar das Datum, nicht aber das Jahr des Weltuntergangs bekannt sei, war wenig tröstlich. Der Mai war ja noch nicht gekommen. Ich zählte nach. Der
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