Klack: Roman (German Edition)
deren Anwesenheit man aber nur mürrisch ertrug. Geladene Gäste waren das ja nicht gerade.
Immerhinque, sagte mein Vater, hätten sie uns vom Gröfaz befreit und beschützten uns jetzt vorm Iwan. Da dürfe man nicht wählerisch sein. Schließlich sei man nicht auf der Welt, um zu wählen, sondern um sich zu fügen. Das war so eine seiner Lebensweisheiten, zu denen meine Mutter stumm und verständnisinnig nickte.
Hanna und ich fanden die Tommies aber riesig nett, weil sie uns immer mal wieder einen Riegel Cadbury-Schokolade oder Kaugummi zusteckten, wenn wir sie mit Haudujudu begrüßten.
In der ersten Etage drängten sich Oma, Opa, wir vier sowie eine gewisse Frau Hübner, laut Oma »vom Schicksal doppelt gebeutelt«, weil sie sowohl eine »Kriegerwitwe« als auch eine »Ausgebombte« war. Und auf dem Dachboden gab es noch das sogenannte Juchhe, eine Mansardenkammer, in der in der guten alten Zeit das Hausmädchen untergebracht war. Dort hauste jetzt Herr Tabbert, der aber als Handelsvertreter für Kurzwaren häufig außer Haus war. Die zugige Kammer mit winzigem Waschbecken und per Vorhang abgeteilter Toilette, die nur mit einem Heizlüfter notdürftig zu erwärmen war, benutzte er nur an den Wochenenden, wenn er von seinen Touren zurückkam.
Als die Tommies Anfang der Fünfzigerjahre abrückten, nahmen sie Frau Hübner gleich mit. Die ausgebombte Kriegerwitwe hatte nämlich auch einen Hauptgewinn gelandet, indem sie sich in einen der britischen Offiziere verliebte, »ihn sich angelte«, wie meine Mutter sagte. Alle Jahre wieder bekamen wir zu Weihnachten eine Postkarte aus Bristol, wo Frau Hübner nun als Mrs McGill lebte, offenbar glücklich verheiratet und Mutter dreier Kinder. Oma und Opa waren wieder ins Parterre gezogen, und wir hatten die erste Etage endlich für uns.
Nur Herr Tabbert wohnte immer noch im Juchhe. Seine ersten Touren hatte er noch auf einem Fahrrad mit Hilfsmotor absolviert, war dann auf ein Motorrad umgestiegen und war seit einigen Jahren stolzer Besitzer eines roten VW-Käfers mit ovaler Heckscheibe. Wir bekamen den unauffälligen, zurückhaltenden Herrn Tabbert allerdings kaum zu Gesicht. Seine Anwesenheit am Wochenende teilte sich lediglich durchs gelegentliche Rauschen der Toilette über unseren Köpfen mit. Das sollte freilich bald ein ebenso geheimnisvolles wie überraschendes Ende finden.
Ich sah eine Weile dabei zu, wie Schulenbergs Mobiliar in den Umzugslaster geladen wurde. Nierentisch und Blumenhocker, Kleiderschrank und Bettsofa, Trommelwaschmaschine Domina von Zanker, Stehlampe mit tütenförmigen Schirmchen, Kühlschrank Marke Frigor, Kisten und Kartons mit Aufschriften wie Persil bleibt Persil; Bauknecht weiß, was Frauen wünschen; Henkell Pikkolo – Die gute Art, sich froh zu stimmen. Bedachte man, dass Schulenbergs vor 15 Jahren mit nichts als heiler Haut und zwei Rucksäcken hier eingezogen waren, konnte man schon ins Staunen kommen, mit was sie nun wieder auszogen. Das Wirtschaftswunder hatte es gut mit ihnen gemeint.
Mit uns aber auch. In der Apotheke meines Vaters herrschte jedenfalls Hochkonjunktur. Krank, meinte er, seien die Leute ja immer schon gewesen, aber seitdem es uns dank Ludwig Erhardt, D-Mark und freier Marktwirtschaft geradezu gold gehe, seien die Leute noch viel öfter krank. Verweichlicht irgendwie. Der Russe sei da aus ganz anderem Holz. Könne mit einer Handvoll Sonnenblumenkerne als Tagesration auskommen, verfüge von Natur aus über unwahrscheinliche Widerstandskräfte. Das mache ihn ja so sympathisch. Und vor allem so gefährlich. Damals im Winterkrieg –
Diese Monologe meines Vaters versandeten fast immer in einem pointenlosen Niemandsland und ließen Hanna und mich verstohlen grinsen. Manchmal verdrehte sogar meine Mutter entnervt die Augen, aber meistens nickte sie nur schweigend und irgendwie ahnungsvoll, als müsse sie meinem Vater Bestätigung oder Trost spenden. Denn seine Erzählungen liefen immer dann aus dem Ruder, wenn er auf seine Kriegserlebnisse in Russland zu sprechen kam beziehungsweise darüber zu sprechen versuchte. Manchmal hielt ich seine Zerstreutheit für eine Art Lüge, dachte, dass er etwas verheimlichen wollte, aber dann merkte ich, dass er den Schrecken und das Unheimliche gar nicht erzählen konnte. Das war irgendwie enttäuschend, weil ich mir unter Krieg auch Abenteuer nach Wildwestmanier vorstellte und gern einen Helden zum Vater gehabt hätte.
Als ich die Schulenbergs fragte, ob ich ein Foto von ihnen machen
Weitere Kostenlose Bücher