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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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ich vielleicht, es sei womöglich nur eine Laune seines
irren Verstandes und nicht ernstzunehmen. Doch er sagte zum zweiten Mal: »Dann
sollst du mit ihm gehen.« Und dann sprach er bitter davon, was für eine Schande
es sei und daß wir, wenn wir gingen, für immer fortbleiben müßten; daß mir Geld
zustehe und daß ich es bekommen solle, daß Neil mich in der Weihnacht holen
solle, und dann könnten wir aufbrechen nach Kanada. Doch eine Hochzeit hier bei
uns werde es nicht geben, und von einer anderswo wolle er nichts hören, und – aber was soll ich all diese Worte wiederholen, wo ich sie nun bald vergessen
kann und vergessen will.
    Das ist also mein Abschiedsbrief: Dich werde ich nicht vergessen, Onkel Ewan. Ich bin so glücklich, so glücklich – aber ich fürchte mich auch. Manchmal denke ich, ich träume – aber das ist
Unsinn! Wenn es Dinge gibt, die ich nicht verstehe – was macht das schon aus,
wenn ich mit Neil fortgehen kann?
    Tammas soll hinuntergeschickt werden – wohl, um die Post zu besorgen – obwohl der Schnee sich immer höher türmt; ich hoffe nur, es geschieht ihm
kein Unglück. Für mich ist das die Gelegenheit, Dir diese Zeilen zu schreiben – sonst hättest Du erst von mir gehört, wenn ich schon weit fort bin – und was
hättest du da in Kinkeig lange zuvor für eine Flut von Klatschgeschichten zu
hören bekommen! Leb’ wohl, lieber Ewan Bell,
    in Liebe Deine
    Christine Mathers.
    Bei Neil bin ich in Sicherheit, und er bei mir.
    Da hieß es also Abschied von Christine nehmen – und bei dem
Gedanken, daß sie so weit fort von Kinkeig gehen sollte, wurde mir das Herz
schwerer denn je, und das, wo ich mich doch für sie hätte freuen sollen. Immer
wieder von neuem las ich den Brief, und bei jedem Mal wurde ich trauriger. Am
Ende muß ich wohl eingeschlafen sein, alter Mann der ich bin, und mein Feuer
erstarb, denn ich erwachte mitten in der eisigen Nacht, und Ranald Guthries
Stimme klang mir in den Ohren:
 
    TIMOR MORTIS CONTURBAT ME. …
 
    Die nächsten drei Tage verbrachte ich in größter Besorgnis.

XII.
    Am Abend des Tages, an dem Tammas kam – Montag, der 23. war das –, gab es noch eine kleine Sensation in Kinkeig. Denn als längst alle glaubten,
sämtliche Straßen müßten unter dem großen Schnee verschwunden sein, als sich
grau und silbern die Schatten des Abends auf die weiße Welt senkten, kam eine
kleine Limousine ins Dorf, pflügte sich schlingernd von gottweißwoher zu uns
herauf; vielleicht war der Fahrer in Dunwinnie von der Hauptstraße abgekommen
und wollte auf sie zurück. Man hat den Wagen nur kurz durchs Fenster gesehen,
denn bei dem Wetter waren alle in ihren Häusern – alle außer dem kleinen Wattie
McLaren, der vom Tee aufgesprungen und hinausgelaufen war und nach einem
Schneemann sehen wollte, den er mit anderen Kindern am Vormittag gebaut hatte.
Der kleine Wagen hielt an; eine junge Frau hätte am Steuer gesessen, erzählte
Wattie, und habe gefragt, ob das die Straße Richtung Süden sei. Mag sein, daß
die Fahrerin ihn mißverstand – was man sich gut vorstellen kann –, oder der
Bengel gab ihr absichtlich eine falsche Antwort und hatte später Angst, es
zuzugeben. Jedenfalls schüttelte sich der kleine Wagen und schnaufte, die
Hinterräder schlitterten eine Weile, bis sie im Schnee wieder einigermaßen
faßten, und dann nahm er den Weg nach rechts das Tal hinauf, nach Erchany.
    Inzwischen hatte Mistress McLaren bemerkt – der Leser wird sich
erinnern, wie es um ihren Verstand bestellt ist –, daß Wattie in ihrer
Kinderschar fehlte – und sie hat ja, wie Will Saunders immer sagt, wahrlich
genug, daß ihre Säue sich ein Beispiel an ihr nehmen könnten –, und war
hinausgegangen, um ihn zu suchen; sie sah gerade noch das Schlußlicht des
kleinen Wagens über die erste Hügelkuppe verschwinden. Und im selben Augenblick
ertönte ein Fanfarenstoß, der Mistress McLaren – die ja sehr religiös ist, wenn
auch auf eine kuriose Art – sogleich an den Engel der Verkündigung denken ließ:
ein frommer und der Jahreszeit angemessener Gedanke, das muß man sagen. Aber es
war lediglich die Hupe eines weiteren Wagens, dieser fast so groß wie ein Haus
und mit nur einem einzigen schmächtigen Jüngling darin, mit Schneeketten auf
den Rädern und besser für die winterlichen Verhältnisse gewappnet als sein
Vorgänger. Zweifellos hatte er sich verirrt, weil er dem anderen auf die
falsche Straße gefolgt war, und heute weiß ich, daß der junge Mann

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