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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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den Häusern – und so tollte Dein treuer Hund davon.
    Etwa eine Meile darauf erschienen Miss G.s Schlußlichter wieder vor
mir, und in meiner Unschuld nahm ich das gar als gutes Zeichen; mein Vetter
Tim, der einmal stellvertretender Untersekretär oder so etwas an der Botschaft
in Washington war, erzählt ja immer, was für ein tüchtiges Volk sie sind.
Natürlich wäre im Vergleich zu jemandem, der so minderbemittelt ist wie Tim,
praktisch jeder – Aber ich schweife ab.
    Was ich ja dort im wahrsten Sinne des Wortes tat. Noch ein paar
Meilen, und es konnte kein Zweifel mehr sein, daß ich vom rechten Wege
abgekommen war. Miss G. hatte sich verfahren, und ich fuhr hinterher – schlingerte und schlitterte eigentlich eher, durch den kniehohen Schnee.
Wahrscheinlich wäre das der Punkt gewesen, an dem ich umgekehrt wäre, wäre ein
Umkehren möglich gewesen, doch daran war nicht zu denken, denn die Straße war
offensichtlich keine Straße, sondern nur ein elender Feldweg. Außerdem war die
heroische Miss G. immer noch vor mir – ich konnte mir gar nicht erklären, wie
sie immer noch vorankam – und würde bald weit schlimmer dran sein als ich; in
meinem Gefährt konnte man die Nacht, wenn man sie denn dort verbringen mußte,
wenigstens überleben. Du siehst, worauf es hinausläuft: der edle Ritter, der
galant der gestrandeten Dame zu Hilfe eilt.
    Und gestrandet war sie tatsächlich. Ich war vielleicht sechs Meilen
weit gefahren; ich konnte die Spuren ihrer Räder gerade noch im
Scheinwerferlicht ausmachen, und ich folgte eher diesen Spuren als den wenigen
Pfosten, die den Verlauf des Weges markierten, und so geschah es, daß ich ein
zweites Mal in die gleiche Falle ging wie zuvor an der buckligen Brücke.
Zumindest schien es so. Köpfchen in das Wasser, Schwänzchen in die Höh’ – doch
dann kam ein entsetzlicher Schlag. In die Stille hinein, die dann folgte, und
als ich mich noch mühte, überhaupt zu begreifen, was geschehen war, sagte eine
Frauenstimme kühl: »Na, das haben Sie ja schön gemacht.« Miss G.s Stimme.
    Sybil Guthrie – es ist Zeit, daß wir ein wenig vertrauter mit ihr
werden – Sybil Guthrie war von der Straße abgekommen und über eine Schneewehe
gehüpft, ihr Wagen war zur Seite gekippt, und sie war herausgeklettert. Ich
folgte brav und hüpfte ihr nach, doch der Rolls kippte nicht, sondern blieb auf
der Höhe – genauer gesagt kam er mit einem fürchterlichen Knirschen oben auf
ihrem Wagen zu stehen. Da thronte ich nun und machte ein dummes Gesicht – denn
es hätte ja nicht viel gefehlt, und ich hätte ihr dabei ihren hübschen Hals
gebrochen. Ich war sehr darauf bedacht, die Scharte auszuwetzen, und fragte
besorgt: »Sind Sie verletzt?« – »Und wie«, antwortete sie. »Tief gekränkt bin
ich«, und dann, schon munterer: »Aber wenn der Streit zu hitzig wird, haben wir
ja genug Schnee zum Abkühlen. Oder meinen Sie, Schnee wird da nicht helfen?«
    Doch Abkühlung brauchten wir keine. Im Gegenteil, wir nahmen rechts
und links auf meinen Kotflügeln Platz – der Wagen stand bombenfest auf seinem
Sockel –, wärmten uns an der Motorhaube die Hände und berieten, was wir tun
sollten. Sybil – ein patentes Mädchen – Sybil erklärte, das Dorf, in dem wir
uns endgültig verirrt hätten, müsse Kinkeig gewesen sein; sie sei schon einmal
durchgekommen, und es gebe ein Gasthaus dort – falls man bis dorthin
zurückgelangte. Wäre das die beste Lösung?
    Sehr vernünftige Impulse, wie Du siehst, auch wenn sie mich an der
Tankstelle noch so geringschätzig gemustert hatte. Nun, wo wir im Schnee
festsaßen, war ich unversehens vom Windhund zum Bernhardiner befördert. Ich
trottete ins Rampenlicht und machte eine ganz ungewohnt ernste und
verantwortungsvolle Miene dabei.
    Den ganzen Nachmittag hatte es geschneit, bald mehr, bald weniger,
doch im Augenblick – einmal abgesehen davon, daß es mittlerweile dunkel war – war die Sicht gut. Und wenn ich mich reckte, dann konnte ich weit entfernt,
aber doch deutlich genug, ein Licht entdecken. »Ich glaube«, sagte ich, »wir
halten uns eher an das Haus dort vorn. Haben Sie einen kleinen Koffer?«
    Kaum vorzustellen – meinst Du nicht auch? –, daß Sybil unbeeindruckt
war; das waren die kargen Worte, mit denen Helden sprachen. Und außerdem war es
in jedem Falle vernünftig, fand ich, denn zum Dorf mußten es mindestens sechs
Meilen sein; das Licht hingegen, auch wenn man sich bei Lichtern im Dunkeln
leicht verschätzen kann, konnte

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