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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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morgen wieder aufgebrochen, und auch
wenn die Straßen in einem schrecklichen Zustand waren, rechnete ich doch damit,
daß ich am Abend in Edinburgh sein würde (wo es ein passables Hotel gibt);
heute abend wäre ich auf der Hauptstraße nach York gewesen, und von da hätte
ich es morgen noch rechtzeitig zum Weihnachtsessen geschafft – wie ich’s Dir
telegrafisch angekündigt hatte.
    Aber die Rechnung hatte ich ohne das Wetter gemacht. Die
Schneemassen sind unglaublich, und selbst auf der Hauptstraße aus den Highlands – wo die Schneepflüge gefahren waren – blieb ich zusehends hinter meinem Plan
zurück. Ich hatte einen kleinen Imbiß – der Herr wünscht zu speisen? hat mich
der Wirt in der Kaschemme mit großen Augen gefragt – irgendwo in einem
gottverlassenen Kaff; ich witterte ja schon das gute Abendessen in Edinburgh.
Ich trat ordentlich aufs Gas, aber trotzdem kam ich nicht voran. Ich mußte
unbedingt in Queensferry sein, bevor die William Nuir ablegte, sonst hätte ich den ganzen Weg über Stirling fahren müssen, und dann
wäre es wirklich spät geworden. Diana, Du weißt, was ich getan habe. Ich hielt
an, holte die Landkarte hervor und sah, daß es eine prima Abkürzung gab. Doch
ach!
    Die Route war, glaube ich, schon in Ordnung; es war der Schnee, der
mein Verderben war. Ich hatte die Schneeketten angelegt und fuhr munter vor
mich hin, ungefähr vierzig Meilen die Stunde, als die Nase des Wagens plötzlich
nach unten tauchte und das Hinterende in die Höhe ging, wie ein Boot, das in
ein Wellental plumpst – nur daß man sich nicht wie im Wasser, sondern wie in
Watte fühlte. In etwa zehn Schritt war ich von meinen vierzig Meilen zum
Stillstand gekommen, ohne Stoß und ohne Rütteln. Das ist eben der schottische
Schnee: vollkommen andere ballistische Eigenschaften, habe ich das Gefühl, als
der Schnee in Davos. Aber das nur nebenbei. Was geschehen war, war folgendes:
ich war über eine jener unglaublich buckligen Brücken gefahren (die, soviel ich
weiß, noch aus der Zeit Julius Caesars hier stehen), auf der anderen Seite war
eine große Schneewehe, und in ihr war ich versunken.
    Zum Glück kam gerade ein Trupp Nordbriten daher, um, wie sie mir
erklärten, Heu für das bedürftige Vieh zu bringen; sie waren so freundlich,
besagtes Vieh herbeizuholen und es vor, oder besser gesagt: hinter meinen Wagen
zu spannen und ihn rückwärts wieder herauszuziehen, und dann fuhr ich den Weg
zurück, den ich gekommen war, nur daß ich zwei Stunden verloren und zehn
Shilling – wie Miss G. sagt – auf den Kopf gehauen hatte.
    Womit wir also zu Miss G. kämen – wiederum mit etwa vierzig Meilen
die Stunde, bis wir in die Metropole Dunwinnie einlaufen. Dort hielt ich, um zu
tanken, und genau das gleiche tat Miss G. –, wir beide an der einen Zapfsäule,
Ladies first. Du weißt, ich bin immer ein wenig verlegen, wenn ich mit dem
Wagen draußen in Gesellschaft kleinerer Wagen bin, und Miss G. bedachte mich
mit einem kurzen, abschätzenden Blick, der mit einer solchen Deutlichkeit Windhund! sagte, daß ich beinahe winselte. Und so folgte
ich ihr wie ein treues Hündchen – nachdem ich gehört hatte, wie sie sich
kompetent nach der Straße Richtung Süden erkundigte – und folgte ihr auch, als
sie die zweite Biegung nach rechts einschlug. Pech war das, denn Miss G. nahm
die falsche Piste.
    Aber fahren konnte sie. Es war eine schmale Landstraße – das hätte
mir schon zu denken geben sollen –, und ich überholte nicht. An die zehn Meilen
ging das so, dann kamen wir in einen gottverlassenen Weiler, und dort verlor
ich den Anschluß: inzwischen war es ja fast dunkel. Das gefiel mir gar nicht;
schon seit Meilen hatten wir uns durch jungfräulichen Schnee gepflügt, und ich
war mir sicher, daß ich mich verirrt hatte, mitten im tiefsten Schottland. Also
hielt ich, um mich zu erkundigen; das Dorf schien verlassen wie Goldsmiths
Auburn, und ich dachte schon, ich müßte an Haustüren klopfen, als plötzlich wie
durch Zauberei eine Alte neben mir auftauchte. Natürlich hätte ich meine
Landkarte nehmen sollen, hätte fragen sollen: »Gute Frau, wo bin ich hier?« und
dann selbst sehen sollen, wie ich von dort wieder fortkam. Statt dessen fragte
ich sie nach der Straße gen Süden, womöglich sogar nach London – die alte
Gewohnheit, die mit der Müdigkeit die Oberhand gewann. Aber die alte Schachtel
machte einen ganz verläßlichen Eindruck, zeigte sogleich und sehr bestimmt auf
eine Abzweigung zwischen

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