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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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alles, was Du
brauchst. Wenn ich es mir so überlege, könnte Gutsherr Guthrie gut ein
Hexenmeister sein, mit immer einer Hexe oder zweien zur Hand. Das würde mich
überhaupt nicht wundern. Aber ich glaube, Mrs.   Hardcastle hat ein gutes Herz:
auf ihre umständliche Art brachte sie zwei Kaminfeuer in Gang, kam mit wirklich
warmem Wasser, mit Handtüchern, sogar mit Seife – wenn es auch Kernseife war –,
und sie brachte mir etwas wie Bettzeug für mein abscheuliches Lager. Als das
alles geregelt war, erklärte Guthrie mit einer Verbeugung, daß man sich um neun
Uhr beim Abendessen wiedersehen werde.
    Man sah sich wieder – und man sah Christine. Was ich von Christine
halten soll, weiß ich ganz und gar nicht, aber auf ihre Weise ist sie genauso
eindrucksvoll wie Guthrie, der offenbar ihr Onkel ist. Eindrucksvoll, wenn es
vielleicht auch nur ein flüchtiger Eindruck ist – will heißen, daß sie mir
gestern abend bei unserem kuriosen Abendessen als ein hübsches Mädchen vorkam,
das wie eine Schönheit erschien. Und schließlich gibt es nur eines, was noch
schöner ist als das: ein unauffälliges Mädchen, das wie eine Schönheit
erscheint. Aber mach’ Dir nichts draus, Diana, wenn Du für diese höchste Palme
nicht in Frage kommst. Es geht auch so, das kannst Du mir glauben. Es geht auch
so.
    Eine schüchterne Schönheit vom Lande, mit einem weich fließenden
schottischen Akzent, der einen wunderbaren Zweiklang zu Sybils Amerikanisch
ergibt; ein scheues, verschlossenes Mädchen mit dem Betragen – oder den
Manieren – einer vornehmen alten Dame, offenbar ohne jede Vorstellung von der
Welt draußen: das ist Christine. Eine schottische Miranda, dachte ich, als ich
sie bei Tisch beobachtete. Und je näher ich sie betrachtete, desto passender
fand ich es – Miranda in ihrer ersten großen Szene, die pflichtschuldig anhört,
was Prospero zu sagen hat, doch mit all ihren Gedanken weit fort ist,
vielleicht angestrengt nach der stürmischen See horcht, wo, wie sie weiß, das
Schicksal für sie arbeitet. Wenn Du das albern oder abstrus findest, dann
vergiß nicht, ich schreibe das – im Morgengrauen – auf der Burg eines
Zauberers.
    In einem riesigen Saal – der, genau wie das mächtige Treppenhaus,
Erchany weitaus größer wirken läßt, als es in Wirklichkeit ist – saßen der
Zauberer am einen Ende eines gewaltigen Tisches und Christine am anderen, Sybil
und ich ganz verloren an den beiden Längsseiten, und alle vier hätten wir mehr
Wärme bitter nötig gehabt, als das schmächtige Feuer im Kamin abgab – einem
Kamin, groß genug, daß wir uns um die Glut hätten scharen können, und es wäre
weit gemütlicher gewesen als am Tisch. Der Schurke Hardcastle hatte sich
zurückgezogen – die Hardcastles haben offenbar einen Teil des Hauses für sich –, und das Essen wurde teils von seiner tatterigen alten Frau aufgetragen,
teils von Christine; was mir also meinen ersten Eindruck bestätigte, daß
Erchany nicht gerade mit Personal gesegnet ist. Überhaupt sieht man überall
Anzeichen von entweder einer Armut, die eigentlich nicht sein kann, oder einer
pathologischen Sparsamkeit. Zum Beispiel war alles von einer ganz und gar
unzureichenden Zahl an Kerzen beleuchtet; wahrscheinlich wirkte Guthrie umso
sinistrer und Christine umso schöner und Sybil umso unergründlicher – hatte ich
gesagt, daß Sybil etwas Unergründliches hat? –, weil ihre Gesichter stets halb
im Schatten lagen. Ich wollte mich eben mit der Erklärung abfinden, daß die
Großgrundbesitzer dieser Gegend ungewöhnlich pittoreske Vertreter einer neuen
Armut sein mußten, als Mrs.   Hardcastle mit dem ersten Gang hereingeschlurft
kam. Diana, Liebste, es war Kaviar, serviert auf einem Silbertablett.
    Da habe ich – wie Sybil sagen würde – mit den Ohren geschlackert, und
die restlichen Gänge des Abendessens waren nicht minder überraschend: Es war, als
seien die Guthries, in der Stadt zu Reichtum gekommen, zu einem teuren Picknick
in die Burg ihrer feudalen Vorväter zurückgekehrt. Ich fürchte, ich habe recht auffällig
den Blick schweifen lassen, von dem halbverfallenen Saal zu den Luxuskonserven,
von der reichgedeckten Tafel zu den mageren Hunden, von den Hunden zu Mr.   Guthrie
auf Erchany, und ich konnte meine Verwunderung wohl nicht verbergen, denn mir fiel
auf, daß Christine mich mit der gleichen Art von distanzierter Aufmerksamkeit betrachtete,
die ihr Onkel dem Großneffen Horatio Gylbys angedeihen ließ – nur daß hier

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