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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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aller Form als Verwalter des Gutsherrn vorgestellt. Nun legt der
Ausdruck »Verwalter« ja eigentlich nahe, daß es beträchtliche Ländereien gibt,
die zu verwalten sind. Umso seltsamer, daß der Verwalter zugleich eine Art
Butler und Faktotum zu sein scheint – und der Gutsherr selbst scheint
bettelarm.
    Erchany ist ein kurioser Ort. Während unseres Marsches war ein Wind
aufgekommen, ein klirrend kalter Nachtwind, der die unwirtliche Stimmung noch
um vieles verstärkt hatte. Doch auf jeden Wind draußen kommen in den Mauern von
Erchany an die zwanzig. Einer fegte über den langen Korridor, den wir zuerst
entlanggingen, und am Fußboden wogte der abgetretene, ausgefranste Läufer wie
die See, kam uns in Wellen entgegen wie etwas, worüber man im Traume geht. Dazu
kam ein Querwind, der durch die zerbrochenen Scheiben einer langen Fensterreihe
Schneeflocken hereinblies, und diese wurden wiederum von einem weiteren erfaßt,
der sie – ein gespenstischer Anblick – die Treppe, die wir als nächstes
erklommen, hinaufsog. Es ist ein wunderschönes Treppenhaus, ganz aus Stein mit
einer Balustrade aus steinernem Gitterwerk, gewiß Arbeiten französischer
Steinmetzen aus dem Mittelalter, und auf jedem Absatz stehen angsteinflößende
steinerne Monstren mit einer Inschrift, die wohl das Motto der Guthries sein
muß, Tast nicht den Tiger an . Nicht gerade
anheimelnd, flüsterte Sybil mir zu – doch eindrucksvoll auf eine düstere Art.
Was übrigens auch eine gute Beschreibung für unseren Gastgeber wäre, eine hoch
aufgeschossene, hagere, abweisende Gestalt mit energischen Gesichtszügen und
schweren – gehetzten, hätte ich beinahe geschrieben – Linien um Mund und Augen;
eine imposante Erscheinung, selbst wenn man nur den Rücken sah, so wie wir
jetzt, wo er uns einen noch um ein wenig zugigeren Gang im oberen Stockwerk
entlangführte, und der Gauner Hardcastle trottete mit unseren Koffern
hinterher. Wir begegneten niemandem – es sei denn, ich sollte eine
vorbeihuschende Ratte oder zwei erwähnen – und gelangten schließlich an zwei
einander gegenüberliegende Türen: Miss Guthrie bitte nach rechts, Mr.   Gylby
nach links. Und an der Schwelle hielt der Herr von Erchany inne: Ob ich
vielleicht ein Verwandter von Horatio Gylby sei? Es macht mir immer Freude,
mich zu Großonkel Horatio zu bekennen, dem Fin-de-Siècle-Professor für
verruchtes Leben und noch verruchtere Verse – und so antwortete ich sogleich
mit Ja, und unter seinen Großneffen sei ich ihm immer der liebste gewesen. Da
besah mich der alte Mr.   Guthrie mit einer Art versonnenem Interesse und
murmelte, daß er und Onkel Horatio einmal Manuskripte getauscht hätten. Das
heißt ja wohl, daß er ein Dichter ist. Wie ein Käfig für einen Kanari kommt
einem Erchany wirklich nicht vor, und ich hätte nicht gedacht, daß die hiesigen
Eulen bei ihren Gesängen einen Rivalen hätten. Der seltsame
Schachspieler-Blick, mit dem der Gutsherr mich betrachtet, hat also vielleicht
nichts weiter zu bedeuten, als daß er sich auf Gylby einen Reim machen will.
    Sybils Zimmer ist recht hübsch; offenbar wird es als Gästezimmer
bereitgehalten, was ich irgendwie nicht erwartet hätte. Ein Bett so groß wie
ein Schlachtfeld, schneeweiße Laken – nicht gerade die passende Farbe im
Augenblick –, und alles recht ordentlich in Schuß, die eine zerbrochene Scheibe
hübsch mit Packpapier geflickt. Doch kommt man in mein Quartier, so kann man
das Haus beim besten Willen nicht weiterempfehlen: verdächtiges Flattern unter
der düsteren Decke, verräterisches Rascheln am schmutzigen Boden, das Bett
unbezogen, doch leider nicht unbewohnt, und die Winde von Erchany wehen hier
seltsam wie in Zeitlupe und ziehen in gemessener Sarabande ihre Kreise. Aber
man muß Guthrie zugutehalten, daß er selbst ein wenig mißbilligend in die Runde
blickte. »Hardcastle«, rief er, »holen Sie Ihre Frau!«
    Darf ich vorstellen: Diana, Mrs.   Hardcastle; Mrs.   Hardcastle, Miss
Diana Sandys. Mach’ Dir nichts draus, wenn sie Dich so anstarrt, Diana – ich
glaube, die alte Dame ist blind wie ein Maulwurf. Und ist sie nicht eine
Schönheit? Gewiß hat Hardcastle, der kaum älter als fünfzig sein kann, sie
ihrer Rente wegen geheiratet – oder sie hat ein kleines Vermögen im Zirkus
gemacht, die Dame mit dem Bart. Wenn Du das zu grob von mir findest, dann
stell’ Dir einen unserer vornehmen Renaissancedichter vor, der nach allen
Regeln der Kunst eine Hexe beschreibt; damit hast Du dann

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