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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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kaum weiter als zwei entfernt sein. Hättest Du
gezweifelt, Diana, hättest Du Einwände erhoben? Sybil tauchte wortlos in die
Tiefe und holte einen Koffer – einen kleinen Koffer – aus den Überresten ihres
Wagens. »Hieronimo«, sagte sie, »mach dich davon! Im Tale droben, das mit Eise
fließt –«. Eine gebildete junge Dame – wie es bei einer Sibylle ja auch nicht
anders zu erwarten war.
    Das Licht konnte nur von einem Wohnhaus kommen, das uns doch
wenigstens eine gewisse Zuflucht bieten mußte; nur war die Gefahr groß, daß wir
es beim Gehen aus den Augen verloren. Ich ließ meinen Suchscheinwerfer
eingeschaltet und richtete ihn auf einen recht auffälligen Baum – was uns eine
Basis verschaffte, an die wir im Notfall zurückkehren konnten –, und dann ging
es los. Doch nicht bevor die unvergleichliche Sybil noch eine stattliche
elektrische Taschenlampe aus den Trümmern geborgen hatte. Man hätte denken
können, sie sei auf die ganze Affäre vorbereitet gewesen.
    Was dann folgte, war eine Art Westentaschenausgabe von Scotts
letzter Fahrt. Es war kalt, es war dunkel, und vor allem war überall Schnee.
Tatsächlich war »Mann, das nenne ich Schnee« das einzige, was von Sybil en route zu hören war. Es gab die pittoreskesten Stürze,
bei denen wir im Schnee fast untertauchten, wie die Leute in der
Weihnachtsnummer des Punch . Man sollte ja denken, daß
Schnee etwas eher Passives ist. Aber ich kann Dir versichern, daß er sich erhob
wie ein Mann und zum Angriff überging.
    Es gab bange Zeiten, wo ein Hügel oder eine Baumreihe das Licht
verdeckte; schlimmer war der Augenblick, als es plötzlich ein gutes Stück nach
oben zu rücken schien und ich das Gefühl hatte, daß es womöglich zwanzig Meilen
von uns hoch oben auf einem Bergkamm lockte. Doch fünfzig Schritt später, und
eine Schwärze zeichnete sich rund um das Licht ab, die dumpfer war als die
Schwärze des Himmels. Ein paar weitere Schritte noch, und sie nahm Gestalt an.
Was wir sahen, war das Licht einer einsamen Kerze, die weit oben in einem hohen
Turm brannte.
    »Herr Roland«, sprach ich, »kam zum finstern Turm.«
    Nicht gerade geistreich – nicht mit Hieronimo zu vergleichen –, und
ich war eher froh, daß die Worte, auch wenn wir uns noch so erschraken, in dem
entsetzlichen Gekläff untergingen, mit dem die Hunde Alarm schlugen. Doch auch
Sybil verschmähte das Naheliegende nicht: »Sir Leoline«, rezitierte sie, »der
Edelmann –«
    »Hat eine Dogge ohne Zahn –«
    »Dobermann«, sagte Sybil streng.
    »Wie bitte?«
    »Dobermann, nicht Dogge«.
    »Wir sehen es später nach.«
    In Anbetracht der Umstände, wirst Du vielleicht sagen, eine alberne
Unterhaltung. Und im selben Augenblick ging, wie als Zeichen der Mißbilligung,
das Licht aus. Die Hunde bellten allerdings weiter.
    Ganz schicklich und sittsam fühlte Sybil nach meiner Hand. »Mr.   Gylby«, sagte sie – wir hatten uns bekannt gemacht –, »ein kleinwenig sinkt mir
der Mut.« So faßte ich sie mannhaft – nicht jener vulgäre und zweideutige
Griff, den man als »eine Hand drücken« bezeichnet – und sagte in meiner
heroisch-knappen Art, daß es ein Glück sei, daß das Licht nicht eine halbe
Stunde früher ausgegangen sei. Und bei diesen Worten erschien es einen
Augenblick lang wieder, weiter unten und mehr links von uns. Es verschwand und
erschien kurz darauf zu unserer Rechten, wieder ein Stück weiter unten. Jemand
kam eine Wendeltreppe herab.
    Ich trat ein paar Schritte vor und betrachtete das Gebäude im Schein
der Taschenlampe; immerhin reichte das Licht, um uns zu zeigen, daß wir auf
etwas recht Großes gestoßen waren. Das machte mir Mut; in so einer Nacht mußte
doch der Landadel zeigen, was in ihm steckte; ich richtete die Lampe nach
unten, um zu sehen, ob wir vielleicht durch einen Garten oder eine Auffahrt
herauf gekommen waren. Was ich sah, ließ mich einen kleinen Schrei ausstoßen:
ich stand an der Kante eines Abgrunds. »Burggraben«, erklärte Sybil. Sie faßte
meine Hand mit der Lampe und richtete sie nach links. »Zugbrücke.« Sie fand das
offenbar alles aufregend, doch nun war ich es, dem ein kleinwenig der Mut sank.
Ich kannte solche Burgen: die Jagdtrophäen im Großen Saal würden Eiszapfen an
der Nase haben – ein Zwillingsbruder des Gemäuers, dem ich erst am Morgen
entkommen war. »Würde es Ihnen etwas ausmachen«, fragte ich, »wenn Sie das
Zimmer mit dem Gespenst nähmen?« Worauf sie energisch antwortete: »An so etwas
glaube ich

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