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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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ich immer weiter
gestiegen, bis ich oben ankam, und bin hier hereinspaziert.«
    Sybil hielt inne, und wir sahen uns beide in dem Zimmer um. Es war
ein finsterer Raum, rundum dunkel getäfelt und vollgestopft mit Büchern; allem
Anschein nach war Guthrie nicht nur Poet gewesen, sondern ein gelehrter Mann
dazu. Ich ließ den Blick über die Buchrücken schweifen, teils weil ich
neugierig war, womit er sich wohl beschäftigt hatte, teils aber auch, damit
nicht der Eindruck entstand, ich drängte Sybil zu weiteren Geständnissen. Am
einen Ende stand eine Reihe von Regalen mit der Seitenwand zum Raum; ich ging
und warf dort einen Blick hinein; als ich zu Sybil zurückkam, fragte ich:
»Haben Sie sich näher umgesehen?«
    »Nein. Dazu hatte ich gar keine Zeit. Ich war noch keine Minute im
Zimmer, da hörte ich Schritte von unten heraufkommen. Guthrie kehrte zurück.«
    »Was Sie in einige Verlegenheit gebracht haben dürfte, Sybil.«
    »Das kann man wohl sagen. Wie sollte ich das rechtfertigen, daß ich
bis in diesen fernsten Winkel des Hauses vorgedrungen war? Das war furchtbar
ungehörig von mir. Und wenn ich mir vorstellte, daß ich dem alten Herrn
gegenübertreten und zerknirscht meine Entschuldigungen stammeln sollte, bekam
ich es mit der Angst zu tun. Jetzt sah ich, was für eine Dummheit es gewesen
war, in sein privates Reich einzudringen. Und ich verlor den Kopf.«
    Inzwischen, dachte ich bei mir, saß er aber wieder bemerkenswert fest
auf den Schultern; besonnener als sie hätte man kaum wirken können.
    »Es war der reine Irrsinn, aber mein einziger Gedanke war, eine
Stelle zu finden, an der ich mich verstecken konnte! Es gab zwei Möglichkeiten:
die Tür dort neben der Tür zum Treppenhaus und die andere hinten, die so eine
Art Terrassentür zu dem Gang mit den Zinnen ist. Die erste – von der ich da
noch nicht wußte, daß sie zu dem kleinen Schlafzimmer führt – war verschlossen;
ich konnte gerade noch durch die andere entwischen. Das war eine ziemlich
ungemütliche Überraschung; ich stellte fest, daß ich im Freien stand, auf einer
Art Sims, in schwindelnder Höhe und mitten im heulenden Hurrikan.«
    »Zwischen dem Fürsten der Lüfte drinnen und seinen dienstbaren
Geistern draußen.«
    »Genau. Ich ließ meine Kerze in den Schnee fallen – sie wird noch
draußen liegen –, stand da und klammerte mich am Türgriff fest. Es war
stockdunkel da draußen, und ich war ganz benommen von dem Wind. Es muß Minuten
gedauert haben, bis mir aufging, daß da, wo eine Tür war, ja wahrscheinlich
auch etwas war, wohin sie führte, und nicht einfach nur ein Fensterbrett. Ich
hatte die Tür nicht ganz zubekommen, und wenn ich wirklich fest gezogen hätte,
hätte ich vielleicht das Gleichgewicht verloren. So stand ich auf der einen
Seite der Tür, und auf der anderen war Guthrie, ging durchs Zimmer und zündete
einige Kerzen an. Ich mußte entweder zur Vernunft kommen und mich ihm stellen,
oder ich mußte bleiben, wo ich war. Ich blieb, wo ich war.
    Guthrie ging zu dem Schreibtisch in der Mitte des Zimmers, setzte sich
und vergrub das Gesicht in den Händen. Zwei Minuten später – mehr war es nicht – richtete er sich auf und rief etwas, was ich nicht verstand. Die Tür zum Treppenhaus
öffnete sich – bis dahin konnte ich durch meinen Türritz gerade noch sehen –, und
ein junger Mann trat ein; ich glaube, Hardcastle hatte ihn hinaufgeführt, obwohl
ich ihn nicht gesehen habe. Guthrie erhob sich, wies auf einen Stuhl, und für einen
Augenblick konnte ich seine Stimme deutlich hören. ›Setzen Sie sich, Mr.   Lindsay.‹
    Leider – das muß man wohl sagen – waren das die einzigen Worte, die
ich verstand. Der Wind heulte dermaßen, daß für mich ihre Unterhaltung nur eine
Pantomime war. Sie redeten eine ganze Weile mit ernster Miene –«
    »Stritten sie sich, Sybil?« unterbrach ich.
    Sybil schüttelte den Kopf. »Eindeutig nicht. Es war ihnen schon
anzumerken, daß sie keine guten Freunde waren – es sah eher nach einer
förmlichen Unterredung aus –, aber es gab keine Anzeichen von Wut. Sie hätten
zwei Kaufleute sein können, die ein Geschäft beredeten.«
    »Das Geschäft, von dem Hardcastle gesprochen hat – daß Guthrie sich
freikaufen wollte?«
    »Wahrscheinlich.« Sybil hielt für einen Augenblick inne, als wolle
sie meine Frage näher inspizieren. Dann fuhr sie fort. »Bald darauf standen
beide auf, und Lindsay schüttelte den Kopf – seltsam sanft und doch sehr
entschieden, kam es mir vor.

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