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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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können. Hat
Guthrie dabei geläutet und ist er zur Tür gegangen und hat hinuntergerufen, man
solle mich holen?«
    Zum ersten Mal, seit ich sie kenne, blickte Sybil wirklich verdutzt
drein; sie sah sofort, daß ich da einen Punkt zur Sprache gebracht hatte, den
sie übersehen hatte. »Wo ist die Klingel?« fragte sie.
    »Hier drüben, neben dem Kamin.«
    »Dann hat Guthrie nicht geläutet. Und er ist auch mit Sicherheit
nicht zur Tür gegangen und hat etwas gerufen. Hardcastle lügt.«
    »Und Hardcastle hätte fast der Schlag getroffen, als er Sie hier
fand. Ich weiß auch, worauf er es abgesehen hatte. Schauen Sie hier.«
    Ich führte sie ans andere Ende des Raumes zu einem der Regalnischen,
in denen ich mich vorhin umgesehen hatte. In einem alten Sekretär, der dort
stand, war eine Schublade brutal aufgebrochen. Sie war leer, bis auf ein paar
einzelne Goldmünzen. »Der Spielzeugschrank des alten Geizhalses«, sagte ich, »und
das Spielzeug ist fort.«
    Ich betrachtete Sybil, als ich das sagte, und sah, daß sie bleich
geworden war. Eine ganze Weile lang schwieg sie; dann sagte sie – und es war
ein merkwürdiges Gegenstück zu dem Wort, das bisher ihr häufigster Kommentar
gewesen war –: »Nein – nein, das verstehe ich nicht.« Sie runzelte die Stirn.
»Und selbst wenn –« Sie sprach nicht weiter, und es war ihr anzusehen, wie
angestrengt sie nachdachte, vielleicht nach einer Erinnerung suchte. »Da kann
ich mich nicht täuschen.« Dann wandte sie der ausgeräumten Schublade den Rücken
zu. »Natürlich macht es die Sache noch rätselhafter, Noel, aber neue Probleme
wirft es nicht auf.«
    Man muß mir die Überraschung angesehen haben, mit der ich diese ganz
und gar unverständlichen Kommentare aufnahm, denn Sybil mußte selbst lachen.
Sie ging wieder ans andere Ende des Zimmers und warf mit einer überdrüssigen
Geste die Zigarette in den Kamin. »Noel, Ihr Anwalt, was wird das für ein Mann
sein? Ich kann es gar nicht erwarten, ihn zu sehen.« Sie reckte die Arme wie
ein Schauspieler, der Müdigkeit mimt, und fügte hinzu: »Und ich sehne mich nach
meinem Bett und nach Schlaf.«
    »Dann ab mit Ihnen. Ein paar Stunden wird es noch dauern, bevor der
große Aufruhr beginnt. Ich begleite Sie noch zu Ihrem Zimmer.«
    Doch Sybil warf nur abwehrend den Kopf in den Nacken. »Sparen Sie
sich den Weg nach unten, Noel Gylby. Ranalds Geist wird mir schon nicht
erscheinen; Sie wissen ja, eigentlich neige ich nicht zum Romantischen. Aber
ich bin froh, daß Sie mein Auto zu Schrott gefahren haben. Gute Nacht.«
    Und so blieb ich allein in Ranald Guthries Turm zurück. Und hier
sitze ich und fülle Seite um Seite, schreibe wie weiland Pamela – die, wie Du
Dich erinnern wirst, in Tausenden und Abertausenden von Worten den Lieben
daheim berichtete, was der Herr alles anstellte, um ihr ihre Unschuld zu
rauben. Ich habe Pamela immer gemocht, und jetzt weiß ich warum: ich habe
selbst den gleichen Drang – den ihren, meine ich, nicht den ihres Herrn. Wie
die Leute zum Chronisten des römischen Weltreichs sagten: »Schreiben Sie, Mr.   Gibbon, schreiben Sie!« Es ist eine gute Geschichte, aber ich fange schon an,
sie zu vergessen. Ich bin müde. Glaube mir, diese letzten Zeilen sind reinstes
Schlafschreiben.
    Nicht mehr lange, denke ich, dann wird Tammas mit ein paar wackeren
Männern der Ordnung und der Vernunft auf diese Burg des Irrsinns zurückkehren.
Crazycastle, Dampcastle, Coldcastle, Hardcastle. Hardcastle – grrr!
    Gute Nacht, holde Dame, gute Nacht, liebe Dame, gute Nacht, gute
Nacht.
    Sprach
    Noel Yvon Meryon Gylby.

DRITTER TEIL
    Aljo Wedderburn ermittelt

I.
    Beginnen muß ich meinen Beitrag zu diesem Bericht über die
kuriosen Begebenheiten auf Castle Erchany mit einem Geständnis. Von der ersten
Minute an hatte ich meine größten Zweifel daran – Zweifel, von denen ich nicht
guten Gewissens behaupten kann, daß die nachfolgenden Ereignisse sie ausräumten –, ob es tatsächlich, wie der junge Herr Gylby mich so großzügig begrüßte,
»genau der rechte Mann« war, der da nach Erchany kam.
    Diejenigen unter den Lesern, die mit den Institutionen der
Jurisprudenz unserer Inseln vertraut sind, werden zweifellos wissen, daß die
Edinburgher Anwaltskammer sich in der Regel und zur Erleichterung ihrer
Mitglieder eher mit den stilleren und zeitloseren Aspekten unseres Rechtswesens
beschäftigt, mit der im wahren Sinne gelehrsamen Seite des Rechts. Und ich darf
in aller Bescheidenheit sagen, daß die Kanzlei

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