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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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wirken
mußten. Hardcastle selbst, das spürte man, wenn er Sybil ansah, verging fast
vor Neugierde, und das allein hätte mich schon dazu gebracht, die Fragen noch
aufzuschieben. Außerdem hatte ich den Eindruck, daß in Sybils Augen ein Bitten
oder eine Warnung zu lesen stand, als wolle sie mir zu verstehen geben, daß wir
die Sache besser unter uns besprachen.
    Eine andere Frage kam mir wieder in den Sinn. Ich wandte mich
Hardcastle zu und fragte so unvermittelt, wie ich nur konnte: »Ist eigentlich
Ihr Doktor noch gekommen?«
    Es war ein Volltreffer. Hätte ich mir plötzlich die Maske des
Scharfrichters übergestülpt und ihn lässig aufgefordert, den Hals auf den
Richtblock zu legen, hätte die Verblüffung des Unmenschen nicht größer sein
können. Wenn ich mir vorstelle, was ein guter Staatsanwalt in diesem Augenblick
alles aus ihm hätte herausbringen können – ein Augenblick, in dem er japste wie
ein Fisch, den man an Land geschleudert hat! Er hatte ja keine Ahnung, was ich
wußte. Und wie ein Dummkopf, das muß ich leider eingestehen, verriet ich es ihm
sogleich.
    »Als Sie Miss Guthrie und mir die Tür öffneten, da haben Sie
gefragt, ob es der Doktor sei.«
    »Haben Sie denn nicht gehört, Mr.   Gylby, daß einer von unseren
Hunden Doktor heißt? Ich habe gedacht, er wäre draußen.«
    Nun war ich an der Reihe, verblüfft
dreinzublicken, daß er mir eine so eiskalte, offensichtliche Lüge auftischte.
Der Bursche ist tatsächlich so verschlagen, wie seine Visage schon vermuten
läßt, und für den Augenblick konnte ich nichts weiter mehr dazu sagen. Ich überlegte,
ob man sich nicht doch mit Tammas verständigen könnte – der ja unser erster
Bote an die Welt draußen werden sollte.
    »Meinst du, du kommst durch nach Kinkeig, Tammas?« fragte ich.
    Tammas, als er begriff, daß ich mit ihm sprach, errötete im
flackernden Lampenschein wie ein junges Mädchen. Und dann murmelte er:
    Kein Glück gibt’s mehr im Haus,
    Kein Glück gibt’s nimmermehr,
    Kein Glück gibt’s mehr im Haus
    Denn der Herr, der ist nicht mehr …
    Du wirst Dich erinnern, daß die Narren und Schwachköpfe im elisabethanischen
Drama sich stets in Versen aus obskuren Liedern ausdrücken. Tammas’ Art legt den
Schluß nahe, daß diese Regel eine gewisse Begründung in den pathologischen Fakten
hat. Der erste Versuch, Kontakt mit ihm aufzunehmen, war jedenfalls gescheitert,
und auch danach habe ich mich nicht mit ihm verständigen können. Daß ich auf Hardcastle
als Dolmetscher angewiesen war, machte die Angelegenheit natürlich nicht besser.
Ich lauschte ihren Stimmen, wie sie in einem Dialekt miteinander redeten, von dem
ich kein Wort verstand, und erfuhr schließlich, daß Tammas bereit sei, sogleich
nach Kinkeig aufzubrechen.
    Tatsächlich machte er sich unverzüglich auf den Weg, mit dem
einzigen Auftrag, daß er den Tod Guthries verkünden und uns einen Arzt und
einen Polizisten herbestellen solle. Ich hatte halb erwartet, daß Hardcastle
eine sofortige Treibjagd auf Lindsay und Christine fordern würde, und war
überrascht, daß er meinem Vorschlag, vorerst nichts zu unternehmen, so
einsichtig zustimmte. Ich schrieb ein oder zwei Telegramme, von denen Du das
Deine inzwischen schon erhalten haben solltest. Ich sah ihm nach, wie er davonstapfte
und mit mächtigen Schritten im Mondlicht durch die Schneewehen pflügte. Binnen
weniger Minuten war er verschwunden; doch in der Stille, die herrschte, nun wo
der Wind verstummt war, hörte ich ihn – und wie unheimlich es klang! – noch
lange den Mond ansingen. Er würde entsetzlich mühsam vorankommen; mit viel
Glück, kalkulierte ich, würde er vielleicht im Morgengrauen im Dorf sein.
    Inzwischen sind es zwei Stunden seit Sonnenaufgang, und es kann nun
nicht mehr lange dauern, bis Hilfe eintrifft. Seit den frühen Morgenstunden
habe ich meine Totenwache gehalten und diesen Bericht zu Papier gebracht; er
ist unvernünftig lang geworden, und ich will ihn nicht unnötig ausschmücken.
Doch eines gibt es, worüber ich noch berichten muß. Du wirst es schon erraten:
es ist eine Unterredung mit Sybil Guthrie.
    Nachdem Tammas aufgebrochen war, gab es nicht mehr viel, was man noch
tun konnte. Mrs.   Hardcastle servierte Sybil und mir große Tassen Tee im Schulzimmer – seltsam verlassen liegt der einfache, zuvor so freundliche Raum nun da –, und
Mrs.   Hardcastle, die respektvoll Abstand hielt und zwischen den Worten immer ein
wenig schniefte, erzählte uns, daß bis vor kurzem

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