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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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Stunde dauern. Aber wir
haben eine Nachricht aus Kinkeig, die Sie sicher hören wollen. Sie haben
Lindsay und die junge Dame in Liverpool gefaßt. Die beiden sind schon auf dem
Rückweg, mit einem Kollegen von Scotland Yard, damit sie sich unterwegs nicht
verlaufen. Sie sind gestern nachmittag aufgebrochen und werden rechtzeitig zum
Termin mit dem Sheriff in Kinkeig sein.«
    »Wunderbar, Inspektor. Das kommt gerade zur rechten Zeit. Ich denke
mir, wir werden Mr.   Guthries Tod schnell genug aufgeklärt haben, und dann steht
nichts mehr dem Glück der beiden im Wege. Und sie haben es sich verdient.«
    Speight starrte mich an, schüttelte dann ungläubig den Kopf und ging
seines Weges. Ich wandte mich um und sah, daß Gylby gedankenverloren die lange
Reihe der dunkel und rissig gewordenen Familienporträts betrachtete, und er
machte ein seltsam ratloses Gesicht dabei. Er merkte, daß ich ihn beobachtete.
»Mr.   Wedderburn, Guthries Tod wäre aufgeklärt – aber ein Gefühl sagt mir, daß
Christine Mathers trotzdem nicht glücklich werden wird. Irgend etwas an ihr,
eine dunkle Ahnung, die sie sich selbst nicht eingesteht … ich weiß nicht.«
    »Mein lieber Gylby – noch mehr Geheimnisse?«
    »Ich weiß es nicht. Etwas Tragisches vielleicht.« Er fuhr sich mit
der Hand durchs Haar. »Erchany legt sich mir auf die Seele. Ich werde von
Minute zu Minute trübsinniger.«
    Das war ein Noel Gylby, wie ich ihn bisher nicht gesehen hatte, und
ich wollte eben nachforschen, woher diese Stimmung kam, als wir von neuem
unterbrochen wurden. Der Konstabler aus Kinkeig erschien schwer atmend in der
Tür. »Bitte um Verzeihung, Sir, aber ist der Inspektor irgendwo hier oben?«
    »Sie haben ihn gerade verpaßt. Warum, ist etwas geschehen?«
    »Wenn Sie gestatten, Sir, es geht um diesen gräßlichen Hardcastle –«
    Ich sprang auf. »Hat er sich aus dem Staub gemacht?«
    »Nein, Sir. Aber er säuft wie ein Fisch.«
    »Ist das alles, guter Mann? Da sparen Sie sich mal Ihren Atem und
lassen Sie ihn trinken. Das muß er selber wissen.« Ich wandte mich zu Gylby.
»Umso schlechter wird er heute nachmittag dastehen.«
    »Aber Mr.   Wedderburn, Sir, Sie verstehen mich nicht. Ich weiß nicht
mehr ein noch aus. Der verrückte Kerl säuft Wasser!«
    Einen Augenblick lang glaubte ich, der Mann erlaube sich einen
höchst unpassenden Scherz; doch dann sah ich, daß er nicht nur erregt war,
sondern am ganzen Leibe bebte. »Erklären Sie es«, sagte ich.
    »Sir, es kann einem angst und bange werden. Der gräßliche Kerl liegt
bei dem Viehtrog hinter dem Haus und brüllt und schreit wie Judas Ischariot am
Jüngsten Tag, und dazwischen säuft er die stinkende Brühe.«
    »Um Himmels willen! Gylby, kommen Sie.« Und wir eilten alle drei von
der Galerie nach unten.
    Das Bild, das sich uns bot, als wir hinter dem Haus anlangten, hätte
grotesker kaum sein können. Hardcastle, sein Körper entsetzlich aufgetrieben
und aufgedunsen, lag in einer Ecke an einem niedrigen Trog, stieß die
entsetzlichsten Schreie aus und kämpfte um das Wasser mit einer Unzahl ebenso
aufgedunsener Ratten. Noch ein paar Augenblicke, dann erstarben seine Schreie.
Noch bevor wir bei ihm anlangten, wälzte er sich auf den Rükken und zuckte noch
einmal, und dies Zucken fand ein gräßliches Echo im letzten Beben der
sterbenden Ratten ringsum. Und es fehlte ihm nicht an Beistand in seinem
Todeskampf. Auf der einen Seite stand seine Frau und rief: »Er hat das Gift für
seinen Porridge gehalten, es war die Ratte in ihm, die ihn dazu getrieben hat,
der Herr erbarme sich seiner!« Und auf der anderen stand – oder besser gesagt:
hüpfte – der Schwachkopf Tammas, klatschte in die Hände und lachte schallend im
Angesicht des Todes.

VI.
    Wir taten, was wir konnten, doch es war offensichtlich, daß Hardcastle
zu seinen Vorvätern gegangen war. Wahrscheinlich hatte er vorher schon im anderen
Sinne des Wortes getrunken: sonst hätte er wohl kaum eine Schüssel mit vergiftetem
Hafer für sein Mittagessen gehalten. Mrs.   Hardcastle war lediglich nachlässig gewesen – nichts weiter; im nachhinein sah ich deutlich genug, daß man einer alten Frau
von so begrenztem Verstand niemals größere Mengen Gift hätte anvertrauen dürfen.
Speight schickte eine Nachricht an Dr.   Noble – obwohl der Doktor nur noch den Totenschein
ausstellen konnte –, und dann kam Erchany mit seinen zwei Toten zur Ruhe, und alle
warteten. Es war ein zermürbendes Warten, und als ich, um ein wenig

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