Klagelied der Sterne: Der frühe Homanx-Zyklus, Bd. 2
doch Irene nennen?«
»Mr Mallory, Sie dürfen mich nennen, wie Sie wollen.« Sie ließ seine Hand sinken, drückte sie noch einmal fest und legte sie dann wieder aufs Bett. »Dieses Recht haben Sie sich verdient.«
»Ich will Sie nicht so nennen dürfen, weil ich das Recht dazu habe. Ich will, dass Sie es mir als Freundin erlauben.«
»Aber sicher«, erwiderte sie sanft.
Der innige Moment währte nicht lange, denn Dr. Chimbu betrat den Raum, gefolgt von einigen Militärs und Zivilisten (die Tse nicht kannte) sowie zwei Medizintechnikern. Obwohl das Zimmer nun voll war, herrschte keine Hektik, und es gab keinerlei Gedränge. Alle, einschließlich der ernst dreinblickenden Offiziere, schwiegen respektvoll.
»Mr Mallory«, begann Chimbu sanft, »wir möchten Sie nicht überanstrengen. Wenn Ihnen momentan zu viele Leute hier drinnen sind, sagen Sie es einfach, und wir schicken einige hinaus.«
Der Mann im Bett grinste. Er hatte die Hände der Krankenschwester nicht losgelassen, und sie zog sie auch nicht weg. »Zu viele Leute? Das sind noch nicht genug! Es können nie genug für mich sein, nie wieder!«
Hinter dem Chefarzt stand eine attraktive Frau in der Uniform eines Colonels. Sie konnte sich nicht mehr zügeln: »Mr Mallory, sicher verstehen Sie, dass manche von uns Ihnen unbedingt ein paar Fragen stellen wollen. Wenn Sie sich noch zu schwach fühlen …«
»Fragen Sie ruhig!« Er lächelte Tse an. »Und wie wär’s, wenn Sie mir was Anständiges zu futtern bringen würden? Apfelmus ist prima - vorzugsweise auf einem riesengroßen Antilopensteak, mit Bratkartoffeln. Und Soße. Und Meeresfrüchte - ganz egal welche.«
Tse sah Chimbu erwartungsvoll an, der zu zögern schien. Schließlich nickte er. »Ein kleines Steak«, fügte er hinzu.
Die attraktive Frau in Uniform hielt sich zurück, und als Mallory das bemerkte, forderte er sie auf: »Stellen Sie ruhig jede Frage, die Sie stellen wollen! Ich rege mich schon nicht auf. Für den Rest meines Lebens hab ich mich schon genug aufgeregt.«
»Also schön. Mr Mallory, Sie wissen sicher, dass wir Sie, seit Sie hierher gebracht wurden, sorgfältig überwacht haben. Deswegen haben wir Ihre Geschichte mithören können. Sicher haben Sie Verständnis dafür, dass es uns sehr schwer fällt, diese Geschichte zu glauben - eingedenk des Empfangs, den man den Pitar hier auf der Erde bereitet hat, und aufgrund der Tatsache, dass sie sich in den vergangenen fünf Jahren nicht einmal ansatzweise so verhalten haben, wie Sie es eben beschrieben haben.« Totenstille herrschte im Krankenzimmer, als alle gespannt abwarteten, wie der Patient reagieren würde.
Mallorys Antwort war zwar schlicht, aber vollkommen verständlich. »Also halten Sie mich für einen Lügner?«
»Das hat niemand gesagt«, meldete sich ein anderer Offizier rasch zu Wort. »Niemand nennt Sie einen Lügner.« Er schaute die Frau an, dann blickte er wieder zu der geplagten Gestalt im Bett. »Sie haben Schreckliches durchgemacht, Sir. Es ist ein Wunder, dass Sie überlebt haben, und das auch noch ohne körperliche und geistige …« Als er merkte, dass er schnurstracks auf ein Fettnäpfchen zusteuerte, unterbrach er sich.
Mallory vollendete den Satz für ihn. »Ohne geistige Schäden?« Er ließ den Blick über die aufmerksame Versammlung schweifen. »Sie glauben, ich könnte halluziniert haben? Mir eingebildet haben, was auf Treetrunk geschehen ist? Was ist dann bitte schön mit den sechshunderttausend Toten und Vermissten?« Deutlich lauter fügte er hinzu: »Das ist eine verflixt realistische Halluzination.«
»Niemand streitet die Zerstörung Treetrunks ab«, antwortete der weibliche Offizier sanft und ohne jede Herablassung. »Das würde wohl kein menschliches Wesen abstreiten wollen. Was Major Rothenburg und der Rest von uns sich fragen, ist, ob Sie wirklich das gesehen haben, worüber Sie berichten. Vielleicht hat Ihr Verstand, überwältigt von der Schreckenstat, etwas Unlogisches erfunden, um die sogar noch schlimmere Realität zu verwischen oder auszuschließen.«
»Die schlimmere Realität? Schlimmer als Völkermord? Schlimmer als die Entnahme weiblicher Fortpflanzungsorgane, schlimmer als Organraub?« Er schüttelte langsam den Kopf. »Ma’am, ich kann nur sagen, Sie müssen eine noch grausamere Fantasie haben als ich.«
Chimbu, der auf der anderen Seite des Betts stand, mischte sich ein. »Mr Mallory, Colonel Nadurovina ist eine der besten Psychiater, die das Militär hat. Sie ist auf
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